Kugelman: IS kann in Afghanistan in Schach gehalten werden
17. August 2016Deutsche Welle: Wie schwer ist der IS in Afghanistan und Pakistan durch die Ausschaltung seines Kommandeurs Hafiz Saeed Khan getroffen?
Kugelman: Es war sicher ein schwerer Schlag, aber keineswegs ein K.O.-Treffer, wenn man dieses Bild benutzen will. Für Khan wird ein Ersatz gefunden werden, und der IS wird versuchen, seine Präsenz in der Region weiter auszubauen. Operativ gesehen haben sich die Kräfteverhältnisse also dadurch nicht geändert. Allerdings dürfte der psychologische Effekt stärker sein. Denn die Operation gegen Khan, die Teil einer aggressiven Luftkampagne der USA gegen IS-Führer in der Region war, dürfte dem IS einmal mehr klar gemacht haben, wie schwer es für ihn sein wird, sich in der Region wirklich festzusetzen.
Wie stark ist der IS in seiner sogenannten "Region Khorasan", insbesondere in Pakistan und Afghanistan?
Das kommt darauf an, was mit "stark" gemeint ist. Was das "Markenimage" betrifft, so ist er ziemlich stark. In Afghanistan gehen wir von mehreren tausend Militanten aus, die bereit sind, von den Taliban zum IS zu wechseln. In beiden Ländern sind Schriften und Flaggen des IS aufgetaucht, was auf ein gewisses Maß an Attraktivität deutet. Außerdem gab es in beiden Ländern Anschläge, zu denen sich der IS bekannt hat. Das heißt also zumindest, dass es in beiden Ländern Extremisten gibt, die bereit sind, Anschläge im Namen des IS auszuführen, möglicherweise unter Anleitung von IS-Kadern aus dem Nahen Osten.
Andererseits sollten wir das mit der Stärke nicht übertreiben. Der IS unterscheidet sich von anderen Terrorgruppen dadurch, dass er in der Lage war, größere Territorien zu erobern. In der Region Afghanistan-Pakistan hingegen ist ihm das nur in einigen kleinen, eng umgrenzten Gebieten im Osten Afghanistans gelungen. Die afghanische Armee, die US-Luftwaffe und die Taliban haben die IS-Kämpfer erfolgreich zurückgedrängt.
Es ist einfach so, dass der IS in dieser Region nicht über die Zahl vollwertiger Mitglieder verfügt wie im Nahen Osten oder sogar in Europa, wo es eine kritische Masse an radikalisierten Personen gibt, die sich dem IS im Nahen Osten angeschlossen haben oder dies vorhaben zu tun. Etwas Vergleichbares hat es in Pakistan und Afghanistan nur in sehr geringem Umfang gegeben.
Wie würden Sie die spezielle Situation in Afghanistan in Bezug auf Aktivitäten des IS dort beschreiben?
Das Umfeld dort ist einfach nicht geeignet für eine Festsetzung des IS. Natürlich gibt es in vielen Gegenden Afghanistans ein beunruhigendes Niveau der Unsicherheit und Rechtlosigkeit, und das kommt dem IS zugute. Andererseits ist Afghanistan bei Weitem nicht in dem Maße von dem sunnitisch-schiitischen Gegensatz geprägt wie Syrien und Irak, ein Gegensatz, der für den Aufstieg des IS ideal war. Außerdem sind die meisten militanten Kräfte in Afghanistan, darunter die Taliban, eng mit Al-Kaida, dem Rivalen des IS, verbunden. Und schließlich sind sie größtenteils Anhänger der Deobandi-Bewegung, während der IS salafistisch ausgerichtet ist.
Zumindest kurzfristig dürften die Taliban viel stärker von der Schwäche der Regierung und einem möglichen Scheitern des Staates profitieren als der IS. Die Taliban sind seit jeher die unbestrittenen Anführer der militanten Kräfte in Afghanistan, und sie werden bei einem Versagen der Regierung nur stärker werden. Sie sind außerdem gut aufgestellt, um Vorstöße von IS-Kämpfern zurückzuschlagen.
Was müssen die Regierung in Kabul und ihre ausländischen Verbündeten tun, um mit dem IS fertigzuwerden?
Kabul und seine Verbündeten sind mit ihrem militärischen Vorgehen gegen den IS auf dem richtigen Weg. Die afghanische Armee konnte mit amerikanischer Luftunterstützung - und mit den Taliban als unverhofftem Verbündeten - die Vorstöße des IS stoppen. Derzeit ist die Präsenz des IS so schwach, dass auch die noch nicht voll einsatzfähigen afghanischen Kräfte - wie gesagt, mit ausländischer Unterstützung - den IS in Schach halten können.
Allerdings sind bedrohliche Zukunftsszenarien denkbar. Es könnte zu Zusammenschlüssen kommen, etwa einer "Vernunftehe" zwischen IS und Taliban, oder, was noch besorgniserregender wäre, zwischen IS und Al-Kaida. Es wird bereits von Kämpfern des IS und der Taliban im Osten Afghanistans berichtet, die sich im Kampf gegen ausländische Truppen zusammengetan haben. Und wenn die zentrale Führung des IS vernichtet würde, könnten die restlichen Angehörigen ihr Heil im Zusammengehen mit Al-Kaida suchen. Alle diese Terrororganisationen sind letztlich aus dem gleichen Holz geschnitzt, und Kooperation zwischen ihnen kann niemals völlig ausgeschlossen werden.
Michael Kugelman ist Experte für Süd- und Südostasien am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington.