Kroatien fordert die Grande Nation heraus
15. Juli 2018Die Protagonisten lassen daran keine Zweifel aufkommen - wie etwa Frankreichs Angreifer Antoine Griezmann: "Es ist mir völlig egal wie: Ich will diesen Stern!" - "Wir lassen es nicht zu, dass eine andere Mannschaft den Pokal mitnimmt", betont auch Teamkollege Paul Pogba. Kroatiens Kapitän Luka Modric kontert: "Ein Finale spielt man, um es zu gewinnen. Wir werden 22 Krieger sein." Sein Teamkollege Ivan Rakitic schwärmt: "Für uns alle in Kroatien ist dieses Finale eine Riesen-Geschichte."
Rakitic, Modric und alle in den rot-weiß-karierten Trikots wissen um die Euphorie in der Heimat. "Gäbe es ein Stadion für 4,5 Millionen Menschen - es wäre voll", ist sich Rakitic sicher. Der Mittelfeldmann des FC Barcelona ist völlig hingerissen vom Zuspruch aus aller Welt: "Hunderte von Millionen sind für uns am Sonntag."
"Es ist in unserem Leben eine einzigartige Chance"
Dass die Franzosen nicht einmal, die Kroaten aber in jedem ihrer drei K.o.-Spiele in die Verlängerung mussten und obendrein einen Tag weniger zur Erholung hatten, sieht Rakitic nicht als Nachteil. "Im Endspiel holt man die Kraft, woher auch immer", meint der 30-Jährige. Wille schlägt Körper. So kamen die Kroaten auch im Halbfinale gegen England noch einmal zurück und rangen die "Three Lions" nieder.
Kroatiens Trainer Zlatko Dalic gibt zwar zu, dass es hart ist, 90 Minuten mehr in den Knochen zu haben. "Aber es sieht so aus, dass je härter es wird, desto besser werden wir", sagt er: "Es gibt keine Ausreden. Es ist in unserem Leben eine einzigartige Chance. Ich bin sicher, dass wir die nötige Stärke und Motivation finden werden." Geschichte habe seine Auswahl ohnehin schon geschrieben, als zweitkleinstes Land - bezogen auf die Einwohnerzahl - in einem WM-Finale nach Uruguay.
Klar verteilte Rollen
Das Endspiel hat sich Dalics Team redlich verdient - ebenso wie die Franzosen. Beide Mannschaften überzeugten auf und neben dem Platz als Kollektiv, als unerschütterliche Einheiten - und das nicht nur zu Marketingzwecken. Herausragende Einzelkönner - wie Griezmann, Pogba, Kylian Mbappé auf der einen und Modric, Rakitic, Mario Mandzukic auf der anderen Seite - stellten sich in den Dienst der Ganzen, ordneten sich stets diszipliniert den taktischen Konzepten unter, die die Trainer Dalic und Didier Deschamps vorgaben.
Und doch sind die Rollen klar verteilt: Frankreich ist der Favorit, Kroatien der Herausforderer. Die Grande Nation erwartet den zweiten WM-Titel nach dem Heimtriumph vor 20 Jahren, sie braucht den Pokal, auch als Wiedergutmachung für die Enttäuschung im EM-Endspiel von Paris 2016 gegen Portugal. "Wir müssen das Finale gewinnen, weil wir die Niederlage von vor zwei Jahren noch immer nicht verarbeitet haben", sagt Deschamps.
Auf den Spuren von Beckenbauer und Zagallo
Der 49 Jahre alte Weltmeister-Kapitän von 1998 und Europameister-Kapitän von 2000 hat seinem mit Offensivkünstlern gespickten Team ein pragmatisches System verordnet: Acht Spieler, darunter Dauerläufer N'Golo Kante, kümmern sich um die Organisation, Mbappé, Griezmann und Olivier Giroud sollen vorne mit ihrer individuellen Klasse den Unterschied machen. Torgefahr verbreiten jedoch auch die Innenverteidiger Samuel Umtiti und Raphael Varane - insbesondere bei Standards. Es war nicht immer schön anzusehen, was die hochtalentierte Equipe Tricolore spielte, dafür aber ungemein effektiv.
Mit dem Titeltriumph kann Deschamps mit Franz Beckenbauer und dem Brasilianer Mario Zagallo gleichziehen - den einzigen, die als Spieler und Trainer die WM-Trophäe eroberten. Sein Gegenüber Dalic war bis zur WM ein Nobody - als Spieler und Trainer ohne große Titel. Doch wie Deschamps ist es ihm gelungen, aus großartigen Einzelspielern ein eingeschworenes Team zu formen.
Kroatien auf historischer Mission
Nun sieht er sich auch auf einer historischen Mission: Er will Revanche nehmen für die bislang größte Enttäuschung die Kroatien im Weltfußball erlebt hat: 1998 beendete die Equipe tricolore – angeführt von Deschamps - den WM-Traum der "Generation Suker" im Halbfinale der Weltmeisterschaft in Frankreich durch einen 2:1-Sieg. "Jeder erinnert sich in Kroatien an dieses Spiel", sagt Dalic, der die WM in Frankreich als Fan teilweise vor Ort erlebte. "Vielleicht hat uns der liebe Gott ja die Möglichkeit gegeben, dieses Ergebnis zurechtzurücken."
Die Spieler dazu hat Dalic: Rakitic, den Mittelfeldstrategen des FC Barcelona. Oder die unermüdlichen und offensichtlich völlig schmerzfreien Stürmer Ivan Perisic und Mario Mandzukic. Und Modric - Mittelfeld-Motor von Champions-League-Sieger Real Madrid, der Mann, den sie das Pony nennen. Dalic: "Nach dieser Saison mit Real Madrid sprintet er noch immer nach 116 Minuten dem Ball hinterher. Es führt das Team, er ist für mich der Mann des Turniers." Führt er sein Team auch zum historischen Titel, werden das auch andere so sehen.
ww/asz (dpa, sid)