Kritik an deutscher Entwicklungspolitik
8. November 2010Wenn Wolfgang Jamann und Danuta Sacher in einer Mangocremetorte herumschneiden, dann wollen sie damit deutlich machen, wie wenig 0,35 Prozent sind – ein kleiner Streifen, den man kaum anheben kann, weil er so filigran ist. Jamann ist der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Sacher die Geschäftsführerin von Terre des Hommes Deutschland. Beide stellen einen kritischen Bericht zur deutschen Entwicklungshilfe vor. Und weil es darin um Zahlen geht, und Zahlen schlecht zu fotografieren sind, zerschneiden sie für die Kameras die gelbe Mangocremetorte. Sie soll das Bruttonationaleinkommen Deutschlands darstellen, und der schmale Streifen ist der Anteil der offiziellen Entwicklungszusammenarbeit an diesem Nationaleinkommen.
Versprochen hat Deutschland, noch ein zweites Tortenstück dazuzugeben: Bis 2015 sollen die Entwicklungsgelder auf 0,7 Prozent des Nationaleinkommens steigen. Doch bis dahin ist es noch weit. "Das ist leider eine immer wiederkehrende Nachricht: Jedes Jahr verfehlen wir die Ziele des festgelegten Stufenplans", sagt Jamann. Um die Ziele zu erreichen, müsste der Entwicklungsetat von derzeit sechs Milliarden Euro jedes Jahr um zwei Milliarden steigen.
Vorbilder Frankreich, Großbritannien, Finnland
Zwar wurde der Etat für das laufende Jahr 2010 um 256 Millionen Euro erhöht, 2011 wird es aber keine weitere Steigerung geben. Während einige EU-Staaten wie die Niederlande, Schweden oder Dänemark die 0,7 Marke bereits erreicht haben, haben andere EU-Staaten trotz Wirtschaftskrise zumindest größere Steigerungen ihres Entwicklungsetats möglich gemacht: Frankreich habe 2009 seinen Etat um 17 Prozent erhöht, Großbritannien um 14 Prozent oder Finnland um 13 Prozent. "Das sind durchaus Beispiele, an denen sich die Bundesrepublik orientieren könnte", erklärt Jamann.
"Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe" – unter diesem Titel werten beide Organisationen einmal im Jahr in einem gemeinsamen Bericht die staatliche Entwicklungszusammenarbeit aus. Und in diesem Jahr haben sie ganz besonders kritisch hingesehen. Seit 2009 hat Deutschland eine schwarz-gelbe Regierung, und Entwicklungsminister Dirk Niebel von der FDP war nicht nur in Oppositionszeiten als besonders scharfer Kritiker der Entwicklungszusammenarbeit aufgefallen. Er kündigte bei seinem Amtsantritt auch an, die Entwicklungshilfe stärker daran zu messen, wie sehr sie der deutschen Wirtschaft nutzt. "Wirtschaft geht dorthin, wo Umsatz und Gewinnerwirtschaftung zu erwarten sind", beklagt dagegen Sacher. "Das ist nicht deckungsgleich mit den Ländern und den Sektoren und den Bevölkerungsgruppen, die am stärksten ausgegrenzt sind und am stärksten unterstützende Maßnahmen für Entwicklung benötigen."
"Kein Steuergeld zur Erschließung von Absatzmärkten"
Die Verknüpfung von Entwicklungspolitik und Förderung der deutschen Wirtschaft ist allerdings keine Erfindung Niebels. Unter dem Titel Public-Private-Partnership gibt es bereits seit Jahren ein Kooperationsprogramm. Hinzu kommen noch deutlich höhere Gelder, die direkt in die Exportfinanzierung deutscher Unternehmen gehen. Auch sie werden teilweise auf die offiziellen Entwicklungsgelder angerechnet. 2009 förderte Deutschland beispielsweise den Ausbau eines Hafens in Mexiko durch deutsche Firmen, den Bau eines Zementwerks in Namibia und den Ausbau eines Vertriebsnetzes der Allianz in Indien, wo der Konzern verstärkt Mikrokredite anbieten will. Dass diese Gelder vor allem zum Nutzen der deutschen Unternehmen ausgegeben würden, weist Entwicklungsminister Niebel zurück. "Wir schauen immer, ob so ein Projekt eine Entwicklungsdynamik in Gang setzt. Zur reinen Erschließung von Absatzmärkten fließt kein Steuergeld."
Nicht alle dieser Investitionen seien unsinnig, räumen auch die Welthungerhilfe und Terre des Hommes ein, dennoch: die Kriterien für die Vergabe dieser Gelder seien nicht transparent. Vieles werde direkt zwischen Unternehmen und Ministerium verhandelt, ohne dass am Ende überprüfbare Ergebnisse öffentlich werden. Sie fordern daher eine Auswertung dieser Projekte in der Vergangenheit.
Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Andreas Becker