Wirtschaftskrise als Chance für Entwicklungsländer
5. Mai 2009Es ist nicht besonders viel, aber mehr als bisher: 0,51 Prozent ihres Bruttosozialproduktes wollten die 15 wohlhabendsten Länder der Europäischen Union bis 2010 an Entwicklungshilfe zahlen. Das hatten sie 2005 beschlossen. Bis zum Jahr 2015 sollten es sogar 0,7 Prozent sein. Doch schon lange vor der Wirtschafts- und Finanzkrise war klar, dass diese Zusagen nicht eingehalten würden. Nun wird es durch die Wirtschaftskrise noch unwahrscheinlicher, dass die versprochenen Zahlungen tatsächlich fließen.
Bei einigen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich und Deutschland, ist noch unklar, ob und inwieweit sie ihre Entwicklungshilfe kürzen werden, doch andere haben schon deutliche Reduzierungen angekündigt. Vor allem Italien habe keine Verschuldungsspielräume mehr und habe deshalb schon relativ frühzeitig angekündigt, dass es sein Ziel nicht erreichen werde, sagt Peter Wolff, Leiter der Abteilung Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). Auch Großbritannien könne die versprochenen Zahlungen nicht leisten, sagt Wolf. "Großbritannien hatte sich sehr ambitionierte Ziele gesetzt: Nämlich das 0,7-Prozent-Ziel schon bis 2010 zu erreichen." Das sei bei der wirtschaftlichen Lage derzeit nicht mehr vorstellbar, sagt der Experte für Entwicklungspolitik.
Ausgleich unwahrscheinlich
Vielleicht aber könnte die Europäische Union die Kürzungen bei einigen Ländern durch eine gemeinschaftliche Anstrengung insgesamt wieder ausgeglichen? Dieses Szenario hält Wolff für unwahrscheinlich, da alle Länder von der Krise betroffen seien. "Und man kann sich nicht vorstellen, dass die Länder, die ohnehin schon vom Prozentsatz her relativ hoch liegen - zum Beispiel die Niederlande, Schweden oder Dänemark - dass die für so große Länder wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien einspringen könnten", sagt Wolff.
Helfen können dagegen multilaterale Institutionen wie die Weltbank oder die Afrikanische Entwicklungsbank. Diese Institutionen hätten noch aus älteren Zusagen in den letzten Jahren deutliche Erhöhungen bekommen, sagt Wolf. Somit hätten sie Mittel zur Verfügung, die vor allem für die afrikanischen Länder in kurzer Frist in den kommenden drei Jahren auch eingesetzt werden könnten. "Insgesamt wird also, wenn man nicht nur die EU sieht, sondern wenn man auch die multilateralen Institutionen dazu nimmt, die Hilfe für Afrika voraussichtlich nicht abnehmen."
Umschichtungen möglich
Wolff hält auch Umschichtungen der Entwicklungshilfe für wahrscheinlich. So könnten etwa an bislang große Empfänger wie Indien oder Indonesien weniger Gelder gezahlt werden und diese Mittel an die allerärmsten Länder gehen. Außerdem könnte man den Afrikanern von europäischer Seite bei den geplanten Handelsabkommen entgegenkommen – eben weil die Zusagen im Rahmen der Entwicklungshilfe nicht mehr eingehalten werden können, so Wolff.
Trotzdem bleibt unterm Strich die Erkenntnis: Eigentlich hätten die Entwicklungshilfezahlungen nicht gekürzt, sondern über den Stufenplan hinaus noch weiter deutlich erhöht werden müssen, um den Kampf gegen die Armut in der Welt überhaupt erfolgreich führen zu können. Der Bedarf an Hilfe der Entwicklungsländer ist durch die Krise noch gewachsen. Sie leiden sehr unter gestiegenen Rohstoffpreisen und Handelseinbußen.
Rückgang der Rücküberweisungen
Ein anderes riesiges Problem entstehte den Entwicklungsländern zudem durch ausfallende Rücküberweisungen der Emigranten, sagt Thilo Hoppe, Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzender des Bundestagsauschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In vielen Ländern tragen diese Rücküberweisungen von Wanderarbeitern oder Gastarbeitern bis zu 30 Prozent zum Bruttonationalprodukt bei. Ohne diesen Zahlungsstrom aus dem Ausland gehe die Wirtschaftskraft in einigen Ländern um die Hälfte zurück.
Peter Wolff sieht in der Krise durchaus auch eine Chance: "Auch in den armen Ländern kann noch vieles getan werden, um die eigenen Finanzmärkte und Kapitalmärkte, die eigenen Ersparnisse, das eigene Kapital, besser zu mobilisieren und zu nutzen." Ebenso müsse sich die Kooperation zwischen den afrikanischen Ländern verbessern, sagt Wolff. "In der Finanzkooperation muss mehr getan werden, um das, was in Afrika an Kapital vorhanden ist, was aber zum Teil auch aus Afrika über lange Zeit abgeflossen ist, in Afrika zu halten und dort zu investieren."
Autorin: Monika Högen
Redaktion: Insa Wrede