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Krimis aus Lateinamerika

31. Juli 2010

Spannungsliteratur aus Lateinamerika zu lesen, das ist eine Reise durch die Zeit, in die Geschichte Argentiniens, Mexikos oder Chiles – wie auch in die Europas.

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Messerattacke - knife attack
Bild: bilderbox

Sie sind politisch, sie sind historisch und sie sind nahe dran an der Gesellschaft: Kriminalromane aus Südamerika sind häufig politische Romane, ihre Schöpfer arbeiten die Polit-Geschichte ihrer Länder auf. So zum Beispiel die Zeit der Diktatur in Argentinien, die für viele Romane aus dem Gastland der Buchmesse ein Dreh- und Angelpunkt ist. Darüber hinaus beweisen Autoren wie Pablo de Santis oder Paco Ignacio Taibo II aber auch ästhetisch international konkurrenzfähige Klasse: Im Rahmen einer Literatur, die sich als globale Literatur versteht, agieren sie virtuos auf der Klaviatur aller nur denkbaren erzählerischen Mittel.

Pablo de Santis und "Das Rätsel von Paris"

Buchcover Pablo de Santis: Das Rätsel von Paris

Wer sich für internationale Kriminalliteratur interessiert, der kommt an Genreromanen aus Argentinien nicht vorbei. Zum Beispiel von Pablo de Santis, dessen postmodern-kafkaesk-literarische Geschichten bereits seit 2002 im Schweizer Unions-Verlag ins Deutsche übersetzt wurden.

Die besten Detektive der Welt treffen sich zur Weltausstellung 1889 in Paris, und statt ihre brillanten Aufklärungsmethoden einer staunenden Öffentlichkeit als Künstler des Ermittelns vorzuführen, müssen sie den Tod eines der ihren erforschen: Der französische Detektiv wurde umgebracht.

Ein hoch ironischer, höchst kenntnisreicher Kriminalroman, der dem Zeitalter der Aufklärung huldigt und dasselbe zugleich sehr schlau hinterfragt. Welt-Literatur von einem, der das Genre nutzt, um das Wesen des Wissens zu durchdringen.

Paco Ignacio Taibo II und "Der Schatten des Schattens"

Buchcover Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens

Ums Wesentliche geht es auch dem Mexikaner Paco Ignacio Taibo II, wobei bei ihm eher die Frage ist, welche Interessen und Kalküle eine demokratisch scheinende Gesellschaft tatsächlich antreiben. Es geht um Mexiko, es geht um die 1920er Jahre, die Zeit nach der Revolution, in der die Gesellschaft nicht gefestigt ist, zu kippen droht.

Vier Männer, die eigentlich bloß Domino spielen wollen, rücken immer deutlicher in den Mittelpunkt einer aberwitzigen Handlung, bei der mächtige Konzerne und korrupte Zeitgenossen die Strippen ziehen. Und die Vier, ein Gewerkschafter, ein Anwalt, ein Dichter, ein Journalist, haben es faustdick hinter den Ohren …

Ein historischer Kriminalroman, der die Vergangenheit seines Landes als Abenteuergeschichte aufarbeitet, sprühend vor Lust am Erzählen, Situationskomik und Wortwitz; ein Klassiker der mexikanischen Literatur, der zwei Jahrzehnte nach seinem Erscheinen jetzt auch ins Deutsche übersetzt wurde.

Roberto Ampuero und "Der Fall Neruda"

Buchcover Roberto Ampuero: Der Fall Neruda

Auch bei Roberto Ampuero wird um die Gesellschaft gerungen, allerdings im Chile des Jahres 1973. Cayetano Brulé, ein Exilcubaner, lässt sich im Gefolge seiner für die Revolution kämpfenden Freundin durchs Land treiben, das (noch) von Salvador Allende regiert wird. Zufällig trifft Brulé auf Pablo Neruda, den berühmten Schriftsteller, der an Krebs erkrankt im Sterben liegt. Neruda möchte ein Lebensgeheimnis lüften bevor er stirbt, er möchte herausfinden, ob die Tochter einer Ex-Geliebten seine Tochter ist. Weil kein anderer da ist, macht er Brulé zum Detektiv in der Sache.

Das Ergebnis: Keine klassische Detektivgeschichte, sondern eine Ermittlung in der Zeitgeschichte, auch an unerwarteten Orten. Roberto Ampuero, der Chile nach dem Putsch von 1973 verlassen musste, lebte seinerzeit im Exil unter anderem in der DDR. Sein Roman ist eine Zeitreise in die siebziger Jahre, ein Blick in die Gesellschaften Chiles, Mexikos und Boliviens. Aber auch ein spannender Schnappschuss des real existierenden Sozialismus in der untergegangenen DDR.

Ernesto Mallo und "Der Tote von der Plaza Once"

Buchcover Ernesto Mallo: Der Tote von der Plaza Once

Last but not least und stellvertretend für die vielen Kriminalromane aus Argentinien, die im Herbst 2010 auf den deutschen Buchmarkt drängen werden: "Der Tote von der Plaza Once" von Ernesto Mallo. Es ist der Beginn einer Serie um den lakonischen Comisario Lascano, mit dem Autor Ernesto Mallo in den folgenden Bänden die jüngere Geschichte seines Landes aufarbeiten will.

"Der Tote von der Plaza Once" entführt ebenfalls in die siebziger Jahre, nach Buenos Aires, in die Hoch-Zeit des Terrors der Diktatur: Ein jüdischer Geldverleiher wird tot aufgefunden, direkt neben zwei Leichen von "Subversiven", namenlosen Folteropfern. Für die "Linken" würde sich keiner interessieren, der Geldverleiher ist ein Problem – zumal Comisario Lascano nicht locker lässt. Auch dann nicht, als klar wird, dass es 'Persönlichkeiten' mit Macht gibt, die alles andere als interessiert an der Aufklärung des Todesfalles sind.

Wie in vielen Kriminalromanen aus Argentinien, ist auch in "Der Tote von der Plaza Once" die Willkür der Militärdiktatur und die Brutalität ihrer Schergen ein Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Ernesto Mallo, geboren 1948, erzählt sie in seinem 2005 in Argentinien erschienenen Debütroman aus der Perspektive verschiedener Charaktere, deren Schilderungen ihres Anteils an der Geschichte einander abwechseln. Dem Unfassbaren begegnet Mallo mit Gemessenheit, dem Unbegreiflichen mit Reduktion. Diesem Autor geht es weniger ums Verstehen denn ums Festhalten und Feststellen: Seht her, ruft er mit allerlei Stimmen. So ist es gewesen!

Autor: Ulrich Noller

Redaktion: Gabriela Schaaf

· Pablo de Santis: Das Rätsel von Paris. Unionsverlag, 2010. ISBN 978-3293004139, Euro 19,90

· Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens. Assoziation A, 2010. 228 Seiten. Euro 18,-

· Roberto Ampuero: Der Fall Neruda. Bloomsbury Berlin, 2010. ISBN 978-3827008664, Euro 22,-

· Ernesto Mallo: Der Tote von der Plaza Once. Aufbau Verlag, 2010. 216 Seiten. Euro 19,90