Bankrotterklärung
1. Januar 2009Konflikte sind niemals ganz gleich. In Kolumbien hält seit über einem halben Jahrhundert die linksextremistische Rebellenorganisation FARC das Land in Atem - und macht vor allem durch Entführungen von sich reden. Auch der kolumbianischen Regierungsseite wurden im Kampf gegen die Guerilla immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. In Afghanistan sind Terror durch die Taliban und islamische Extremisten und vor allem Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen an der Tagesordnung. Im Kongo - zuletzt durch einen wiederaufflammenden Konflikt erneut in die Schlagzeilen geraten - sorgen einander bekämpfende Milizen für Vertreibung und Flüchtlingselend.
Gemeinsames Klima des Zusammenbruchs
In allen Ländern werden aufs massivste die Rechte der Menschen auf Leben und Unversehrtheit verletzt. Bei allen Unterschieden ist diesen Konflikten aber eines gemeinsam: ein Klima der Zerbrechlichkeit, des totalen Zusammenbruchs und der Unsicherheit. Das begünstigt die Menschenrechtsverletzungen und macht es den Tätern leichter ungeschoren davon zu kommen, weiß Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international: "In so einer gewalttätigen Konfliktsituation zerreißen erst einmal die normalen Lebensbezüge. Das heißt, der Schutzraum, den eine Familie oder ein Dorf geben kann, zerbricht." Die Vertriebenen oder Flüchtenden sind gefährdet, weil sie keine Grundversorgung mehr haben: mit Lebensmitteln, mit Wasser, mit sicherer Unterkunft. Und sie sind verfolgt vom jeweiligen Gegner, und schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Sie werden getötet werden, nicht-legal hingerichtet, es wird gebrandschatzt, vergewaltigt und gefoltert.
Beispiel Kongo
Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Konflikten treffen außerdem meist vor allem die, die ohnehin schon zu den Schwächsten gehören. Beispiel Kongo: "Es ist leider seit Jahren im Kongo so, dass Frauen vergewaltigt und misshandelt werden und das auch als Kriegswaffe eingesetzt wird", sagt Lochbihler. Es komme zur Verschleppung von Menschen, darunter auch Kindern, die dann eingesetzt werden, um bei der jeweiligen Miliz Sklavendienste zu verrichten.
Wer es bis in die Flüchtlingslager schafft, der findet dort häufig trotzdem nicht den ersehnten und so dringend benötigten Schutz. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren auch Übergriffe, Menschenrechtsverletzungen und sexueller Missbrauch in Flüchtlingscamps publik - nicht selten durch Blauhelmsoldaten und anderes Personal, das eigentlich zum Helfen dorthin abgestellt worden war.
Beteiligte Regierung wie im Sudan
Solche und andere Menschenrechtsverletzungen öffentlich anzuklagen und die Täter vor Gericht zu bringen, ist im Chaos des Krieges schwierig, weiß Lochbihler. Vor allem dann, wenn die Akteure nicht klar identifizierbar sind, wie etwa die Regierung im Falle Sudans. Wenn verschiedene und rasch wechselnde Milizen und Rebellengruppen für die Gräuel verantwortlich sind.
Neue Gesetze für Liberia
Um Menschenrechtsverletzungen in solchen extremen Ausnahmesituationen zu begegnen, braucht es neue Gesetze. Denn darauf sind nationale Rechtssysteme kaum vorbereitet. Diese Erfahrung jedenfalls hat man beim Verein der liberianischen Rechtsanwältinnen, AFELL gemacht. AFELL setzt sich seit langem für die Opfer sexueller Gewalt ein, wie sie im liberianischen Bürgerkrieg massiv an der Tagesordnung war. Mit Erfolg: Am 17. Januar 2006 wurde ein Zusatz zum Strafgesetz erlassen, der Vergewaltigung neu definierte.
Denn die bis dato geltende Beschreibung und Rechtslage hielt in keiner Weise den unbeschreiblichen Vorfällen während des Krieges stand, sagt Rechtsanwältin und Präsidentin von AFELL, Deweh E. Gray: "Vergewaltigung war zuvor sehr eng gefasst. Wir aber wollten das neu definieren, wir wollten, dass auch sexuelle Gewalt mit Gegenständen als Vergewaltigung erfasst wird. Denn die Täter benutzen oft Waffen, Stöcke und alle möglichen Objekte."
Kampf um Macht und Ressourcen
Lobbyismus, Aufklärungsarbeit, Kampf um bessere Gesetze und rechtliche Verfolgung von Tätern - die Arbeit von Menschenrechtlern ist mühsam und kann die Gewalt in einem aktuellen Konflikt häufig nicht sofort stoppen. Trotzdem dürfen sich Menschenrechtsaktivisten nicht entmutigen lassen, sondern sollten immer wieder laut ihre Stimme erheben und vor allem genau hinschauen, was in einem Konflikt eigentlich passiert, fordert amnesty-Generalsekretärin Lochbihler.
Vielfach gehe es nicht um den Kampf für ein neues politisches oder gesellschaftliches System, sondern schlicht um Gewaltökonomie und den Streit um Ressourcen - ein Streit, bei dem nicht nur Regierungen und Milizen, sondern auch nationale und multinationale Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, oder sie häufig mit einkalkulieren.
Kampagne gegen "Blutdiamanten"
"Menschenrechtsorganisationen können bespielsweise den Markt für bestimmte Produkte wie etwa Diamanten, die aus so einem Gebiet kommen, stören, in dem man sagt: Kauft keine 'Blutdiamanten'." So wurden vor einigen Jahren Diamantenhändler dazu genötigt zu zertifizieren, wo ihre Diamanten herkommen, um sicherzustellen, dass es keine so genannten Blutdiamanten sind.
Auch der öffentliche Kampf gegen Waffenexporte in bestimmte Gebiete könne ein wirksames Mittel der Menschenrechtsarbeit sein, so Lochbihler weiter - ebenso wie Druck auf internationale und regionale Organisationen, wie etwa die Vereinten Nationen oder die Afrikanische Union, und auf die Länder, die Einfluss auf Täter-Regierungen haben. Das wäre zum Beispiel China im Falle Sudans, und Südafrika im Falle Simbabwes. Auf jeden Fall aber, so sagen alle Menschenrechtsaktivisten übereinstimmend, gilt es immer wieder eins ganz deutlich zu machen: Ein Krieg ist nichts Normales. Er ist die Bankrotterklärung der Politik - und der Menschlichkeit.