1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kreuzritter in der Kurve

Ronny Blaschke16. Juni 2016

Als Gastgeber der EM 2012 legte Polen viele Programme gegen Gewalt und Rassismus auf. Vier Jahre später ist die Lage grundlegend anders. Was ist von den Kampagnen vor dem Risikospiel gegen Deutschland geblieben?

https://p.dw.com/p/1J6Sd
Die polnische Fankurve brennt beim WM-Qualifikationsspiel England - Poland (Foto: picture alliance/Photoshot)
Bild: picture alliance/Photoshot

Ein Kreuzritter verteidigt Europa mit dem Schwert, während im Mittelmeer Flüchtlingsboote zu kentern drohen. Mit diesem Motiv protestierten sogenannte Ultras - organisierte Fangruppen - von Slask Wroclaw auf einer Choreografie im vergangenen Herbst gegen die "Islamisierung" in Polen. Die UEFA bat Vereine in europäischen Wettbewerben um Spenden aus Ticketeinnahmen. Fans von Lech Posen riefen zum Boykott gegen die Kampagne auf. So kamen statt der üblichen 20.000 Zuschauer nur 8000 zum Heimspiel. Und bei Legia Warschau skandierten Zuschauer: "Herumirrende Schafe. Willkommen in der Hölle!"

"In Polen vollzieht sich ein beängstigender Rechtsruck", sagt der Extremismusforscher Rafal Pankowski, der die polnische Fanszene seit mehr als zwei Jahrzehnten beobachtet. Diese feindliche Stimmung gegen Flüchtlinge wurde in fast allen Fanszenen deutlich, durch antimuslimische Banner, Gesänge oder Straßendemonstrationen. Pankowski: "Die meisten Ultras bestärken das nationalkonservative Klima. Leider gibt es dagegen im Fußball kaum Protest. So ist das Gesamtbild nicht so optimistisch, wie wir es uns vor vier Jahren erhofft hatten."

Verbandschef macht Stimmung gegen antirassistische Aktivisten

Rafal Pankowski forscht am Collegium Civitas in Warschau. 1996 gehörte er zu den Gründern der Initiative "Nigdy Wiecej", auf Deutsch: "Nie Wieder." Mit Blick auf die EM 2012 legte die Organisation eines der breitesten Programme des europäischen Fußballs auf, unterstützt von UEFA und dem europäischen Netzwerk Fare, Football Against Racism in Europe. Zum Programm gehörten Workshops, Ausstellungen, Turniere sowie Schulungen von Lehrern, Trainern, Sicherheitskräften.

In den vier Jahren danach sei die Unterstützung für Prävention zunehmend zurückgegangen, erzählt Pankowski - von Politik, UEFA und Medien: "Leider hat uns der Polnische Fußballverband bei der Arbeit eher behindert statt geholfen." Der Verbandschef Zbigniew Boniek, einer der erfolgreichsten Spieler in Polens Geschichte, freute sich über den Wahlsieg der rechtspopulistischen Partei "Recht und Gerechtigkeit". Überdies veröffentlichte Boniek auf Twitter ein Foto von Jacek Purski, einem der prägenden Köpfe von "Nie Wieder". Dazu platzierte Boniek den Verweis zu einem rechten Magazin. Es folgten Beleidigungen und Drohungen gegen Jacek Purski.

Polens Fußball-Verbandschef Zbigniew Boniek (Foto: alliance/NurPhoto/Olimpik/T. Jastrzebowski)
Polens Fußball-Verbandschef Zbigniew BoniekBild: picture-alliance/NurPhoto/Olimpik/T. Jastrzebowski

Zwölf Fanprojekte sind erst der Anfang

In diesem Klima gibt es keine polnische Fangruppe, die sich gegen Rechts positioniert. Stattdessen offene Hetze: Posener Fans zeigten zum Beispiel ein Plakat mit dem Schriftzug "Die Pila-Legion - das Blut unserer Rasse". Das Zitat stammt von der rechtsextremen Band "Konkwista88". Die Mehrheit der Stadionzuschauer nimmt solche Schmähungen gleichgültig hin, wohl auch aus Furcht vor den mächtigen Ultras.

"Wir möchten die starken Persönlichkeiten in den Fanszenen unterstützen", sagt Dariusz Lapinski. "Damit sich jüngere Fans künftig an ihnen orientieren können und sich die Lage verbessert." Lapinski studierte in Frankfurt an der Oder, er forschte über den Nationalismus in Polen und beobachtete über mehrere Jahre die Szenen in Deutschland. Mit Blick auf die EM 2012 kehrte er nach Polen zurück, um nach deutschem Vorbild sozialpädagogische Fanprojekte aufzubauen. Inzwischen ist das Netz auf zwölf Anlaufstellen gewachsen, weitere Projekte sollen folgen. Lapinski ist beim polnischen Verband angestellt, unter Fanexperten ist er europaweit anerkannt. Er muss das Vertrauen der Anhänger gewinnen, die Unterstützung der Kommunen sichern, geeignete Sozialarbeiter für die Projekte finden.

Stichelei gegen Lewandowski

Regelmäßig werden in Polen Geldstrafen gegen Vereine verhängt, regelmäßig werden Tribünen fürs Publikum geschlossen. Auch Lapinski wird genau beobachten, wie sich der Rechtsruck auf die Fankurven auswirkt. Seit Langem findet die Partei "Recht und Gerechtigkeit" von Jaroslaw Kaczynski freundliche Worte für die "patriotischen Signale" der Ultras. Und es geht noch weiter: Die antieuropäische Parlamentsabgeordnete Krystyna Pawlowicz stellte kürzlich die "nationale Loyalität" von Robert Lewandowski in Frage, schließlich werde der Stürmer von einem deutschen Klub bezahlt, dem FC Bayern. Lewandowski war einer von wenigen polnischen Spitzensportlern gewesen, die sich für eine humane Flüchtlingspolitik ausgesprochen hatten, sein Berater steht in gutem Kontakt zu "Nie Wieder".

"Parteipolitisch wollen sich die Fans nicht vereinnahmen lassen", sagt Dariusz Lapinski. "Sie haben zu viele schlechte Erfahrungen gemacht." Dennoch sind viele Fans regelmäßig auf Kundgebungen gegen Flüchtlinge zu sehen. Ähnlich wie bei Pegida in Dresden oder Legida in Leipzig, wo rechte Anhänger von Dynamo Dresden der Lokomotive Leipzig eine beachtliche Rolle spielen.

Lewandowski im Zweikampf bei der EURO 2016 (Foto: picture-alliance/dpa/O. Weiken)
Sogar Polens Superstar Robert Lewandowski wird infrage gestelltBild: picture-alliance/dpa/O. Weiken

"Risiko tragischer Vorfälle besteht"

Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die EM in Frankreich, wo Polen am heutigen Donnerstag gegen Deutschland und am Montag gegen die Ukraine antritt? "Ich denke, dass nicht viele rechtsextreme Fans anreisen werden, aber einige fahren bestimmt", sagt der Extremismusforscher Rafal Pankowski. "Wir gehen nicht davon aus, dass es in den Stadien zu Ausschreitungen kommen wird. Aber in Frankreich leben viele Menschen mit afrikanischen und arabischen Wurzeln, auch um die Stadien herum. Ich hoffe nicht, dass es dort zu tragischen Vorfällen kommt. Aber das Risiko besteht."

In Frankreich sind nun 19 der 24 teilnehmenden Länder mit mobilen Anlaufstellen vertreten. Organisiert von Fans für Fans, um eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. Mit dabei sind Nationen wie Russland, die Ukraine oder Ungarn, wo ebenfalls viele gewaltbereite und nationalistische Fans den Ton angeben. Aus Polen ist keine Fan-Botschaft vertreten. Dariusz Lapinski hat lange um Unterstützung der Anhänger geworben, aber das Interesse sei nicht ausreichend gewesen.