1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Präzedenzfall Kosovo

Das Gespräch führte Marina Borisowa19. Februar 2009

Der Völkerrechtler Daniel-Erasmus Khan von der Universität der Bundeswehr in München bewertet im Gespräch mit der Deutschen Welle internationale Auswirkungen der staatlichen Anerkennung des Kosovo vor einem Jahr.

https://p.dw.com/p/GxQS
Prof. Dr. Daniel-Erasmus KhanBild: Universität der Bundeswehr München

Deutsche Welle: Manche betrachten die Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat als "völkerrechtswidrig". Was sagen Sie als Völkerrechtler dazu?

Daniel-Erasmus Khan: Ganz sicher ist, dass der Fall Kosovo Eingang in die Völkerrechts-Lehrbücher finden wird. Denn auch ein Jahr nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo haben erst 54 Staaten das Kosovo anerkannt, also nicht einmal ein Drittel der Staatengemeinschaft. Die meisten Staaten sind sehr skeptisch, und ich teile diese Skepsis. Denn tatsächlich steht ein Grundprinzip des Völkerrechts im Raum, nämlich die Achtung der Souveränität eines Mitglieds der Staatengemeinschaft. Serbien hat es geschafft, diese Frage dem Internationalen Gerichtshof vorlegen zu lassen, durch die Generalsversammlung. Also eine Mehrheit der Staatengemeinschaft möchte, dass diese Frage auch juristisch geklärt wird.

Hat dieser "Präzedenzfall" den georgischen Provinzen Südossetien und Abchasien als Vorbild gedient?

Die Frage ist natürlich, worin liegt die Präzedenzwirkung? Man kann sagen, dass Kosovo durchaus im Falle Südossetiens und Abchasiens als Vorbild genommen wurde, auch für die Anerkennung durch Russland. Aber wir wissen nach wie vor nicht, ob diese Staatswerdungsprozesse tatsächlich Erfolg haben werden. Denn diese Anerkennungen waren in erster Linie politisch motiviert und weniger rechtlich fundiert, nach dem Motto: Ich will, dass Kosovo oder Südossetien ein Staat ist. Ob die völkerrechtlichen Voraussetzungen wirklich vorliegen, war dabei letztlich zweitrangig.

In Genf laufen Gespräche zwischen Regierungsvertretern Russlands und Georgiens über die Zukunft der abtrünnigen georgischen Regionen. Wie könnte diese aussehen?

Ganz wichtig ist, dass Russland und Georgien überhaupt miteinander sprechen. Artikel 33 der UNO-Charta sagt, dass alle Staaten verpflichtet sind, ihre Streitigkeiten friedlich beizulegen. Offensichtlich sind Georgien und Russland dazu bereit. Das Völkerrecht sieht eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten für die Zukunft vor. Möglich ist eine Annexion durch Russland bis hin zur Rückkehr zu Georgien. Doch beides sind eher unwahrscheinliche Szenarien. Am wahrscheinlichsten ist es, dass sich hier de facto-Regime etablieren, dass es keine klare Entscheidung über den Status dieser Gebiete geben wird, dass der jetzige Status sozusagen für eine Übergangszeit aufrechterhalten bleibt. Dafür gibt es viele Beispiele in der Völkerrechts-Gemeinschaft, wie Nordzypern oder Taiwan. Das ist durchaus eine mögliche, und sicher nicht die schlechteste Lösung.

Neben der UNO hat auch die EU eine Beobachtermission in Georgien stationiert. Wie bewerten Sie die UNO- und EU-Präsenz in der Region?

Es ist richtig, dass die UNO vor Ort ist, denn den Vereinten Nationen obliegt die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens. Die UNO sollte eine unabhängige und neutrale Rolle spielen, eine klassische Peacekeeping-Operation durchführen, durchaus auch eine größere als sie bisher ist. Ich bin aber sehr skeptisch gegenüber der EU-Präsenz, weil die Anwesenheit von EU-Beobachtern oder anderen, möglicherweise auch militärischem Personal, doch die Gefahr in sich birgt, dass hier Partei genommen wird, entweder für die russische oder georgische Seite. Wichtig für die Zukunft ist, dass eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur aufgebaut wird, in der Georgien und Russland einen Platz haben. Europa sollte vor allem deswegen neutral sein, weil es in diesem Konflikt nicht mit einer Stimme spricht. Die EU sollte sich dort möglichst zurückhalten und allenfalls diplomatisch im Hintergrund wirken, aber nicht vor Ort präsent sein.

Die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens wird in russischen Medien oft als Geschenk Russlands bezeichnet. Ist das angebracht?

Ich bin nicht ganz überzeugt davon, dass dieser Unabhängigkeitsprozess wirklich erfolgreich sein wird. Ich glaube, dass nach wie vor diese Gebiete alleine nicht lebensfähig sein werden und auch keine Staatsqualität im Sinne des Völkerrechts erlangen werden. Sie werden auf Dauer Marionettenregime von Moskaus Gnaden sein. Eine unabhängige, souveräne Staatsgewalt wird sich in diesen Gebieten nicht etablieren können.