Viel Stress um nichts
Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Europäische Zentralbank und die Europäische Bankenaufsicht EBA alles daran setzen, die Ergebnisse des neuen Banken-Stresstests möglichst harmlos, unscheinbar und unauffällig daherkommen zu lassen. Schon der Veröffentlichungstermin hat stutzig gemacht: Reagieren können die Marktteilnehmer erst am Montag, den 1. August. Und das ist zufällig der Tag, an dem halb Europa in die Ferien geht.
Alle Institute, die unter den Krisenszenarien des Tests eine Eigenkapitalquote von mehr als sieben Prozent ausgerechnet haben, können sich zufrieden zurücklehnen. Die Deutsche Bank hat für sich eine Quote von 7,8 Prozent ausgerechnet. Jawohl, Sie haben richtig gelesen: Nicht die EBA prüft und rechnet, sondern die Banken selbst. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.
Immerhin ist das Zahlenwerk Grundlage dafür, dass sich gegebenenfalls die nationalen Aufsichtsbehörden die unsicheren Kandidaten fernab aller Öffentlichkeit zur Brust nehmen werden, hinter den Kulissen. Dabei geht es um das gesunde Verhältnis zwischen den Kreditrisiken und den Kernkapital einer Bank. Schließlich ist das der Sinn der Übung: etwas über den Gesundheitszustand der europäischen Geldhäuser zu erfahren und böse Überraschungen wie in der Finanzkriese 2008 zu vermeiden.
Zweifelhafter Wert
Doch was wir Normalbürger erfahren, hat vermutlich nur einen zweifelhaften Wert. Basis für den Stresstest waren nämlich Zahlen aus der jeweiligen Bilanz zum 31. Dezember 2015 - in den sieben vergangenen Monaten kann sich eine Menge verändert haben. Entsprechend unsicher ist eine Fortschreibung der Stress-Szenarien bis ins Jahr 2018, wie sie die EBA vorsieht.
Zudem kann man berechtigte Zweifel haben, ob das Stress-Szenario, das die Bankenaufseher entworfen haben, irgendetwas mit der Realität bis 2018 zu tun hat. Denn als Krisenszenario werden steigende Zinsen unterstellt - was zumindest für das nächste Jahr völlig unrealistisch erscheint.
Außerdem unterstellt die EBA, dass die untersuchen Banken bis 2018 keine Veränderung an ihrem Geschäftsmodell, ihrem "business mix" vornehmen. Ein Institut, dass in diesem Zeitraum sein risikoreiches Investmentbanking zurückschraubt, müsste jedoch nach anderen Kriterien bewertet werden als mit denen vom Dezember 2015.
Politik scheut die Marktbereinigung
Vermutlich werden wir sogar nie vollständig erfahren, wie viele europäische Institute hinter den Kulissen mit dem Vorwurf der mangelnden Risikovorsorge konfrontiert werden. Und selbst wenn es einige Kandidaten gibt, die reif für eine Marktbereinigung wären, wird trotzdem nichts passieren, weil die Politik sich vor der Abwicklung selbst der marodesten Institute scheut. Sogar die Bank Monte dei Paschi di Siena hat in allerletzter Minute die Kurve gekriegt und mehrere Großbanken ins Boot geholt, um eine Kapitalerhöhung am Aktienmarkt vorzubereiten.
Europas Banken haben ohnehin noch ein Ass im Ärmel, falls es hart auf hart kommt. Sie können nämlich argumentieren, es sei die Europäische Zentralbank selbst, die mit ihrer Nullzinspolitik die Ertragskraft der Banken entscheidend lähmt. Witzigerweise räumt das die EZB in einem Paper über die "Prioritäten des Single Supervisory Mechanism" im Jahr 2016 selbst ein: "Das Hauptrisiko bezieht sich auf die Geschäftsmodelle sowie die Ertragskraft der Banken", heißt es da. Und: "Beide Faktoren werden durch das hohe Niveau der Wertminderungen von Vermögenswerten sowie die anhaltende Niedrigzinsphase belastet."
Zudem gefährdet die EZB ihr eigenes Ziel, nämlich für Wachstum und Stabilität in der Eurozone zu sorgen. Die Nullzinspolitik und das Anleihe-Kaufprogramm der EZB haben es jedenfalls noch nicht geschafft, dass die Geldflut in Form von Krediten bei der Wirtschaft ankommt und dort einen nachhaltigen Aufschwung in Gang setzt.
Nullzins und Geldflut schaden nur
Und je mehr die Aufseher auf mehr Eigenkapital bei den Banken pochen, desto weiter entfernen sie sich von dem Ziel, die Wirtschaft mit Krediten anzukurbeln. Denn Banken haben im Grunde nur zwei Möglichkeiten, ihre Kapital-Risiko-Relation zu verbessern: Entweder sie geben neue Aktien aus, was bei den ohnehin schon gebeutelten Altaktionären einen Sturm der Entrüstung und womöglich eine Verkaufswelle auslösen würde. Oder sie verbessern diese Relation, indem sie weniger Risiken eingehen, sprich: keine Kredite mehr an die Wirtschaft ausreichen.
Man sieht: Die Banken haben genug Argumente, um im Zweifel gegenüber der Bankenaufsicht die beleidigte Leberwurst zu spielen. Und die Bankenaufsicht ist sichtlich bemüht, den Ball flach zu halten, weil sie die Konstruktionsschwächen ihres Diagnose-Instruments wohl sehr gut kennt. Deshalb hat dieser Stresstest für mich einen sehr zweifelhaften Wert. Viel Lärm um nichts, könnte man sagen.