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Verbrecher hinter frommer Maske

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
3. August 2015

Vor einem Jahr griff der "Islamische Staat" die Jesiden im Nordirak an. Besonders die weiblichen Opfer hatten zu leiden. Für Kersten Knipp zeigt all das: Der IS ist vor allem eine Bewegung zynischer Schwerkrimineller.

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Jesiden fliehen vor dem "Islamischen Staat", 09.08.2014 (Foto:Anadolu Agency)
Bild: picture-alliance/AA/E. Yorulmaz

Wie die Logik des Verbrechens funktioniert, lässt sich bisweilen ganz beiläufigen Äußerungen entnehmen. Vor einem Jahr fiel die Terrororganisation "Islamischer Staat" in die Siedlungsgebiete der Jesiden im nördlichen Irak ein. Die männlichen Mitglieder dieser auf vorislamische Zeiten zurückgehenden Religionsgemeinschaft wurden zu Tausenden getötet, die Mädchen und Frauen entführt, verkauft, vergewaltigt und nochmals verkauft. Einige der männlichen Jesiden wurden vor die Wahl gestellt: Anstatt sich töten zu lassen, konnten sie zum Islam übertreten. Nicht wenige nahmen das Angebot an. Im Internet kursieren Bilder von Massenkonversionen. Angstvoll sprechen die Jesiden das islamische Glaubensbekenntnis nach. "Wir lebten in der Dunkelheit", erklärt anschließend einer der Bekehrten. "Aber jetzt leben wir im Licht."

"Wir leben im Licht": So ungefähr kann man sie sich vorstellen, die Glaubensgewissheit der Dschihadisten. Und gerade die Leidensgeschichte der Jesiden hat gezeigt: Denen, die im Licht leben, ist offenbar alles erlaubt. Der Koran wird so lange manipuliert, bis er hergibt, was immer den Gotteskriegern in den Kram passt – Raub, Diebstahl und selbst noch viel abscheulichere Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord.

Porträt Knipp Kersten (Foto: DW)
DW-Redakteur Kersten Knipp

"Wir sind eure Götter"

"Sie haben alle möglichen Sachen mit uns gemacht", berichtet eine ihren Peinigern entkommene Jesidin. Näher mag sie den Satz nicht ausführen, doch aus anderen Videos kann man erschließen, was die Jesidinnen durchgemacht haben. Selbst sieben-, achtjährige Mädchen wurden verkauft: an 30-, 40-jährige Männer. Frauen, die sich gegen die Vergewaltigungen wehrten, wurde der Arm gebrochen. Hatten die Täter genug von ihren Opfern, verkauften sie sie weiter. Einige Jesidinnen berichten, sie seien mehr als 20 Mal verkauft worden. Einige hätten in ihrer Verzweiflung Schutz in ihrer Religion gesucht. "Vergesst eure Religion", hätten ihre Peiniger sie daraufhin verhöhnt – "Wir sind eure Götter."

Den Satz muss man auf sich wirken lassen: "Wir sind eure Götter". Deutlicher, brutaler, zynischer ließe sich die Selbstermächtigung der Dschihadisten nicht in Worte fassen. Der Satz dokumentiert die Selbstentgrenzung der Verbrecher. Anders als sie behaupten, dienen die Dschihadisten keinem Gott - sie spielen Gott. Der IS ist eine durch und durch gottlose Bewegung, und zwar eine der zynischsten der jüngeren Geschichte. In Deutschland kennt man diesen Typus des Peinigers sehr gut: Er tat vor knapp 75 Jahren in den NS-Vernichtungslagern seinen Dienst. Auch er erfreute sich an den Qualen seiner Opfer. Diese beschrieben ihre Peiniger damals in Worten, die in verblüffend ähnlicher Weise nun auch die Jesidinnen und Jesiden gebrauchen.

Gelegenheit macht Schwerverbrecher

Der IS ist eine internationale Organisation. Seine Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Ländern: aus hochentwickelten Industriestaaten ebenso wie aus weniger und wenig entwickelten Gesellschaften mit eher ländlicher Struktur. Auch politisch kommen sie aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsordnungen: aus Demokratien ebenso wie Diktaturen oder autoritären Systemen. Mit anderen Worten: Die Biographien der Täter lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Noch weniger lassen sie sich mit den üblichen Deutungsmustern erklären. Vor allem die These, am Anfang der dschihadistischen Karrieren stünden mangelnde soziale oder kulturelle Anerkennung, überzeugt nicht mehr. Eher muss man etwas anderes annehmen: Viele junge Männer werden ganz einfach deshalb zu Schwerkriminellen, weil sie die Möglichkeit dazu haben.

Gelegenheit macht Diebe, heißt ein deutsches Sprichwort. Einmal mehr zeigt sich nun, dass sie nicht nur Diebe macht, sondern auch Mörder, Vergewaltiger und Folterer. Sie werden zu Tätern, weil eine verbrecherischen Zwecken dienstbar gemachte Religion ihre Verbrechen deckt. Der IS ist darum nicht nur eine militärische Herausforderung, sondern auch eine ideologische. Darum sind vor allem die sunnitischen Theologen gefordert. Ihre Aufgabe ist es, den gottlosen Kern des IS zu entlarven.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika