Katholische Missionare haben es immer schon gewusst: Wer für den Glauben werben will, darf Opulenz nicht vergessen. Barocke Umzüge mit Schreinen, Heiligenfiguren, bunten Flaggen und Gewändern haben die zu Umwerbenden seit jeher verlässlich in Stimmung gebracht. Gottesdienste und Anbetungen, Mysterienspiele, garniert mit Kreuzen, Kerzen, Weihrauchschwenkern verfehlen ihren Eindruck nie. Das Auge glaubt mit. Auch von den charismatischen Gestalten aus der Heilsgeschichte lassen sich Gläubige und solche, die es werden wollen, regelmäßig beeindrucken. Die Transformation des Saulus zum Paulus, der gnädig geteilte Mantel des Heiligen Martin, Franz von Assisis Anrufung der Sonne, die Wundmale des Pater Pio: Der Katholizismus ist voller aufregender Geschichten, die die Phantasie in Beschlag nehmen.
Darin, in der kreativen Produktion fesselnder Szenen, Bilder und Figuren, unterscheiden sich die Katholiken von den Protestanten. Jedenfalls war das bislang so. Seit geraumer Zeit zieht die evangelische Kirche aber nach. Luther-Umtrunk, Gottesdienste zur Fußball-Weltmeisterschaft, "Churchnight" mit Hip Hop: Der Glaube allein scheint blass geworden, kann einen Schub popkultureller Ästhetisierung ganz gut gebrauchen.
"So ein berühmtes Zugpferd"
So nun auch auf dem für Ende Mai angesetzten Kirchentag. "Du siehst mich", ist er überschrieben. Wen konkret man sehen wird, haben die Veranstalter jetzt auch verraten: Barack Obama, den im Januar abgetretenen Präsidenten der USA.
"Du siehst mich": Das Wort aus dem Ersten Buch Mose hat nun eine neue, ganz unvermutete Bedeutung. Es heißt nun: "Ihr seht ihn". Will auch sagen: "Ihr seht - Barack Obama." Seit dessen erstem Auftritt 2008 in Berlin - damals war er noch gar kein Präsident -, weiß man: Wo Obama ist, da sind auch die Menschen - viele Menschen. Lichtgestalten wie ihn sieht man schließlich nicht alle Tage, erst recht nicht eine durch den Friedensnobelpreis zusätzlich geadelte.
Das Obamas Glanz nun auch auf den Kirchentag abstrahlen soll, kommt nicht überall gut an. Als "abgehalfterten Messias" bezeichnete ihn der Fernsehmoderator Peter Hahne, von 1992 bis 2009 Mitglied des EKD-Rates. Das Wort ist hässlich, vielleicht sogar gehässig, umreißt aber das Unbehagen, das der Auftritt auslöst: den Starkult, die Hingabe an die Prominenz. "Es ist schön, so ein berühmtes Zugpferd zu haben", beschreibt die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, die Einladung. Obama ist ein Zugpferd, ein Idol. Er ist die Lichtgestalt, deren Glanz auch auf den Kirchentag strahlen dürfte.
"Iconic Turn" auch im Glauben
Gerade aus protestantischer Sicht ist das theologisch bedenklich. "Du sollst dir kein Bild" machen: Dieses Gebot hatten die Protestanten bislang recht streng befolgt. Aber in Zeiten des "pictorial" oder "iconic turn", wie man die Bilderbesessenheit der Gegenwart vornehm umschreibt, kommt auch der Glaube der Protestanten-Christen ohne Konzentration auf Lichtgestalten nicht mehr aus. Jedenfalls nicht mehr so selbstverständlich und lässig wie früher, als es in evangelischen Kirchen garantiert nichts anzuschauen gab. Alles war kahl, und das war gut so. Aber irgendwann wurde es offenbar zu kahl. Darum nun, fast von Null auf Hundert, der Einzug der Lichtgestalten, darum das "Zugpferd" Barack Obama.
Obama, der früher einer christlichen schwarzen Kirchengemeinde in Chicago angehörte, geht mit seinem Glauben diskret um. "Ich suche oft Rat in der Bibel", erklärte er einmal. Doch die persönliche Zurückhaltung, das zeigen seine bisherigen Auftritte in Deutschland, verblasst angesichts der Euphorie, mit der viele Deutsche ihn feiern. Sein Ansehen dürfte im Vergleich mit seinem grobschlächtigen Amtsnachfolger weiter steigen.
"Du siehst mich"
Dabei kann er vor allem außenpolitisch, Stichwort Syrien, keine sonderlich beindruckende Bilanz aufweisen. Während seiner Amtszeit entwickelte sich der Syrienkrieg in eine Richtung, als gäbe es die Ordnungsmacht USA schlicht nicht. Was bleibt, sind Worte. Beim Kirchentag werden es erbauliche Worte sein.
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