Kommentar: Richard III - Der gute König
28. März 2015In einen mit Blei ausgeschlagenen Eichensarg wurden die Königsknochen gelegt. Dann kutschierte man sie zum Schlachtfeld von Bosworth, wo Richard III. als 33-Jähriger starb. In der Kathedrale von Leicester ruhte der Sarg schließlich auf zwei Holzpflöcken, eingeschlagen in einen Bildteppich, während obenauf die Replik einer Krone thronte, neben einer Bibel und drei brennenden Kerzen. Tausende Bürger standen Schlange, um einen Blick zu ergattern auf den Sarg des toten Monarchen. Am Donnerstag wurde Richard III. dann, während Fernsehkameras surrten und Fotoapparate klickten, ein zweites Mal beigesetzt.
Kitsch as Kitsch can? Immerhin: In William Shakespeare's Werken kommt Richard III ganz schlecht weg. Da erscheint der mittelalterliche König als giftige Kröte, als machtgeiler Krummbuckel, als lächelnder Kindermörder, als das personifizierte Böse. Großbritanniens Geschichtsbücher weisen ihn als letzten englischen König aus, der im Kampf um seine Krone auf dem Schlachtfeld fiel - 1485 war das. Knapp 530 Jahre später gilt er vielen Briten als fortschrittlicher Monarch. "Er hat sich um das britische Rechtssystem verdient gemacht", sagen seine Anhänger, " indem er mittellosen Untertanen erstmals Zugang zur Gerichtsbarkeit verschaffte." Beruhte der schlechte Ruf des Monarchen also einzig auf "Tudor-Propaganda"? Ruinierte der siegreiche Heinrich VII., Großvater von Shakespeares Förderin Elizabeth I., posthum den Ruf des toten Rivalen, um die eigene Herrschaft zu legitimieren?
Britisches Geschichtsverständnis
Wer solche Fragen stellt, steckt schon mitten in der britischen Kontroverse. Einstweilen haben die Stadtväter von Leicester touristischen Geschäftssinn bewiesen. Eine alte Schule unweit der Grube, in der man den Knochenfund machte, bauten sie flugs zum Richard-III.-Zentrum um. In wenigen Monaten kamen mehr als 100.000 Besucher. "Volksfest mit Sarg", "Ewiges Pferd", "Eine krumme Geschichte" titelten dann auch die Feuilletons deutscher Zeitungen. Leitartikel wurden verfasst. Der Disput um das Image des finsteren Britenkönigs und die Lust der Briten am Geschichtsevent – beides lässt Nicht-Briten, vor allem jenseits des Ärmelkanals, fragen: Welches Geschichtsverständnis haben eigentlich die britischen Nachbarn?
Ob English Heritage oder National Trust: Mitglied in einer der britischen Denkmalschutz-Organisationen zu sein, gehört auf der Insel zum guten Ton. Man ist stolz auf die eigene Geschichte und genügt - was der Insellage geschuldet sein mag - sich selbst. Darin könnte, wie Nicht-Briten nachvollziehbar vermuten, der Grund für die Freude an der eigenen Vergangenheit liegen. Die Nationen auf den Kontinent sind hingegen stärker aufeinander angewiesen. Dieser Unterschied wird immer dann sichtbar, wenn sich Europa anschickt, nationalstaatliche Kompetenzen nach Brüssel zu verlagern. Die Briten machen dabei selten mit, weil es sie im Mark, in der britischen Identität treffen würde. Geschichtskult zur Identitätsstiftung: Indem sie den toten König feiern, vergewissern sich die Briten ihrer selbst. Und so gilt: Ein toter König ist immer ein guter König.