Putin leitet Machtübergabe ein - an sich selbst
Ob Übertragungen auf Russlands höchstem Berg Elbrus im Kaukasus, in den Tiefen der U-Bahn oder auf den Fassaden von Hochhäusern in Moskau - Wladimir Putin war am Mittwoch überall. Jetzt ist klar, warum die erhöhte Reichweite so wichtig war: In seiner Rede zur Lage der Nation kündigte der russische Präsident eine grundlegende Verfassungsreform an, die zum ersten Mal den Weg zum Machterhalt nach dem Ende seiner Amtszeit 2024 skizziert.
Es war eine Überraschung, auf die Beobachter allerdings schon seit geraumer Zeit gewartet hatten. Ein innenpolitisches Erdbeben ist es allemal. Der Rücktritt der Regierung Dmitri Medwedew wenige Stunden später verstärkt diesen Eindruck.
Mehr Macht fürs Parlament, doch keine parlamentarische Demokratie
Russland habe keine Zeit zu verlieren, hat Präsident Putin am Anfang seiner Rede vor der Bundesversammlung erklärt. Wie erwartet widmete der Kremlchef den Großanteil seiner Ansprache sozialen Versprechen, die vor allem die niedrigen Geburtenzahlen steigen lassen sollen. Der wahre Grund für Putins Eile ist jedoch seine eigene Zukunft: Er bringt sich in Stellung, um das sogenannte "Problem des Jahres 2024" zu lösen - so nennt man in Russland die Frage, wie Putin nach dem Ablauf seines gegenwärtigen Mandates an der Macht bleiben kann. Entsprechend der russischen Verfassung darf er dann nach zwei sechsjährigen Amtszeiten nämlich nicht mehr antreten.
Eingebettet in eine Fülle von Wohlstandsversprechen schlug der Kremlchef scheinbar nebenbei vor, Russlands Verfassung und damit das politische System zu ändern. Typisch Putin: Es gebe keine Notwendigkeit, die russische Verfassung aus dem Jahr 1993 zu reformieren, erklärte Putin, um hat dann gleich mehrere grundlegende Änderungen vorzuschlagen. Diese Reformen sollen vom Volk bestätigt werden, obwohl der Kremlchef das Wort "Referendum" nicht in den Mund nahm. Aber eine Volksabstimmung hat es in Russland seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.
Putins Plan sieht gleich mehrere grundlegende politische Korrekturen vor: So soll das Unterhaus des Parlaments, die Staatsduma, mehr Kompetenzen bekommen und künftig etwa den Ministerpräsidenten und die Regierung bestimmen. Bisher ist das allein Sache des Präsidenten. Offenbar geht Putin davon aus, dass die Duma stets in seinem Sinne entscheiden wird. Der Präsident sprach davon, dass die meisten Parteien "patriotisch" seien, also Kreml-treu. Eine parlamentarische Republik jedenfalls solle Russland nicht werden, sagte er ausdrücklich.
Zwei Wege für Putin, an der Macht zu bleiben
Gleichzeitig hat Putin vorgeschlagen, künftige Präsidentschaftskandidaten müssten eindeutige Kriterien erfüllen: Sie sollen seit mindestens 25 Jahren in Russland leben und keine andere Staatsangehörigkeit besitzen dürfen. Das zielt eindeutig auf den Ausschluss oppositioneller Politiker im Exil, wie etwa Michail Chodorkowski. Auch Minister und Abgeordnete sollen nur die russische Staatsangehörigkeit besitzen dürfen, angeblich, um nicht erpressbar durch den Westen zu sein, Stichwort Sanktionen. Auf eine Fortsetzung der Konfrontation mit dem Westen deutet Putins Vorschlag, in der Verfassung den Primat russischer Gesetze über das Völkerrecht festzuschreiben.
Dieses neue Machtsystem eröffnet Putin zwei denkbare Wege: Er könnte - wie bereits zwischen 2008 und 2012 -Ministerpräsident werden. Oder sich zum Oberhaupt eines anderen Organs wählen lassen, nämlich des Staatsrats, dessen Kompetenzen der Präsident in der Verfassung ausbauen möchte. Fest steht: Wladimir Putin denkt nicht daran, die Macht in Russland abzugeben.
Für ihn und das Land beginnt ab sofort eine neue politische Etappe mit offenem Ausgang. Auch wenn 2024 noch weit weg scheint, bleibt Putin nicht viel Zeit. Bereits im kommenden Jahr steht in Russland die nächste Parlamentswahl an. Bis dahin möchte der Kremlchef seine Reform in trockenen Tüchern sehen. Derzeit sitzt er fest im Sattel und hat deswegen gute Chancen, noch jahrelang Russlands Schicksal zu bestimmen.