Punktsieg Russlands beim ESC in Kiew
"Gewollt war das Beste, aber es kam wie immer". Diesen Satz des ehemaligen russischen Ministerpräsidenten Wiktor Tschernomyrdin kennen viele Russen. Gemeint war: Es ist schlecht oder noch schlechter geworden. Dieser Satz passt genau zur Beschreibung der Strategie der Europäischen Rundfunkunion (EBU) beim Eurovision Song Contest (ESC) in Kiew. Die EBU wollte den Skandal vermeiden und eine Teilnahme Russlands am diesjährigen Musikwettbewerb ermöglichen. Und das trotz der Krim-Annexion und russischer Unterstützung für die Separatisten im Osten der Ukraine. Nun haben wir einen der größten Skandale in der Geschichte des ESC.
Wie ein Elefant im Porzellanladen
"Wir sind im Dialog", "Wir hoffen" - fast ein Jahr lang klang so das Leitmotiv der EBU-Antworten auf die Frage, ob ein Vertreter Russlands beim Wettbewerb in Kiew mit dabei sein könne. Der Inhalt des Briefes den EBU-Generaldirektorin Ingrid Deltenre an den ukrainischen Ministerpräsidenten Wolodimir Hroisman schickte und der am 31. März publik wurde, ist ein Beweis dafür, dass diese Bemühungen gescheitert sind. Deltenre verfasste dieses Schreiben bereits am 23. März, einen Tag nach dem der ukrainische Geheimdienst der Russin Julia Samoilowa verboten hatte, in die Ukraine einzureisen. In dem Brief warnt die EBU die Ukraine vor dem Ausschluss von künftigen Wettbewerben, sollte Samoilova nicht am Eurovision Song Contest in Kiew teilnehmen können.
Dabei hätte die EBU bereits zu Beginn der Vorbereitungen für den Wettbewerb von Kiew Garantien verlangen müssen, dass Kandidaten aus allen Ländern in die Ukraine kommen dürfen. Zugleich hätte die Achtung ukrainischer Gesetze als klare Bedingung an Russland formuliert werden müssen. Mit dieser Doppelstrategie wäre die heutige Situation nicht entstanden und die EBU hätte Spielraum gewonnen.
Jetzt verhält sich die Europäische Rundfunkunion wie ein Elefant im Porzellanladen und setzt die Ukraine unter Druck. Dabei hätte Ingrid Deltenre Wolodimir Hroisman persönlich anrufen oder gar nach Kiew kommen können, um mit ihm zu sprechen. Dass sie eine ultimative Forderung schriftlich stellt, ist zumindest ungeschickt. Deswegen blieb dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin nichts anderes übrig, als am Abend des 31. März der EBU-Forderung eine Absage zu erteilen.
Ukraine ließ sich von Moskau vorführen
Kiew hatte die Chance, sich großzügig zu zeigen und die Einreise der russischen Teilnehmerin zu gestatten. Eine Ausnahme von geltenden Gesetzen für den Eurovision Song Contest ähnlich wie bei großen internationalen Konferenzen oder Sportereignissen wäre möglich gewesen.
Geschickt hat Moskau noch dazu eine Interpretin ausgewählt, die an den Rollstuhl gefesselt ist. Kiew tappte in die Falle. Ausgerechnet eine Behinderte trifft nun der Einreisebann, weil sie auf der annektierten Krim aufgetreten ist und dorthin aus Russland und nicht über die Ukraine gelangte. Damit hat Julia Samoilowa klar gegen ukrainisches Gesetz verstoßen. Moskau wusste das ganz genau und reibt sich jetzt wohl genüsslich die Hände: Ein Propaganda-Coup ist gelungen.
Moskau geht es nicht um den ESC
Den Strippenziehern in Moskau geht es nicht um den Eurovision Song Contest oder Julia Samoilowa. Der Skandal ist die Folge der Politik des Kreml, einen weiteren Keil in die europäische Familie und in die ukrainische Politik zu schlagen. Der Brief der EBU-Chefin an den ukrainischen Ministerpräsidenten ist der Beleg dafür, dass Moskau das gelungen ist. Denn Deltenre räumt in ihrem Schreiben ein, dass einige Länder aus Protest gegen das Verbot für Samoilowa dem Musikwettbewerb in Kiew fernbleiben könnten.
Im Streit um den Eurovision Song Contest behält Moskau die Oberhand. Hoffen wir, dass die Politisierung des Wettbewerbs jetzt nicht auch noch dazu führt, dass ihm jene Russen, die den ESC lieben, den Rücken kehren. Im vergangenen Jahr haben viele Zuschauer in Russland für die Ukrainerin Jamala gestimmt. Damit haben auch sie ihr zum Sieg verholfen - trotz der politischen Konflikte mit der Ukraine.
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