"It's the economy, stupid!" Etwas mehr als ein Vierteljahrhundert ist das her, als Bill Clinton mit diesem Wissen US-Präsident wurde. Dass man mit einer gut laufenden Wirtschaft Wahlen gewinnen kann, das weiß auch Recep Tayyip Erdogan. Denn er war es, der die türkische Wirtschaft Anfang der 2000er-Jahre aus einer tiefen Krise führte. Mit Geldspritzen des Internationalen Währungsfonds und beherzten Reformen. Das klappte ziemlich gut, die Türkei wurde zu einem beliebten Investitionsstandort und auch zu einem begehrten Absatzmarkt, weil die Leute dank Erdogans Wirtschaftspolitik mehr Geld in der Tasche hatten.
Traditionsreiche Wirtschaftsbeziehungen
Auch deutsche Unternehmen engagieren sich seither in großem Maße im Land am Bosporus. An die 7000 sind im Land aktiv, sie beschäftigen über 120.000 Menschen. Darunter große Namen wie Bosch, Volkswagen und MAN, Allianz und BASF (seit 1880 im Land!), das Who is Who der deutschen Wirtschaft. Aber auch viele Mittelständler sahen in der Türkei einen attraktiven Platz. Kein Wunder, die Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern haben eine lange Tradition: Schon 1761 schloss Friedrich der Große einen Handelsvertrag mit Sultan Mustafa III. 100 Jahre später zog es viele deutsche Kaufleute und Handwerker in die Türkei. Die sogenannten "Bosporusgermanen" hatten großen Anteil an einer Ausweitung der Handelsbeziehungen.
Im Gegenzug wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg wiederum Hunderttausende Türken nach Deutschland. Als sogenannte "Gastarbeiter" hatten sie einen großen Anteil am deutschen Wirtschaftswunder.
Und nun diese Krise. Der Verfall der Landeswährung macht die Türkei als Absatzmarkt weniger attraktiv. Investoren haben schon länger begonnen, Kapital aus Schwellenländern wie der Türkei abzuziehen, weil die USA seit der Zinswende der dortigen Notenbank der attraktivere Platz zu sein scheinen. Aber der rasante Absturz der Lira - er wird vor allem befeuert von der autokratischen Politik des Präsidenten der türkischen Republik. Da kann er noch so oft auf die "bösen Märkte" oder die "internationale Zinslobby" schimpfen und das Ganze "eine Kampagne der Amerikaner" nennen. Ökonomische Grundsätze aber kann auch einer wie Erdogan nicht aushebeln.
Die Sache mit Gott
Es schafft jedenfalls kein Vertrauen bei Investoren und Anlegern, wenn Erdogan behauptet, "sie haben ihre Dollar - wir aber haben Gott." Eben weil die Türkei auch ein Land ist, das in den internationalen Handel eingebunden ist (ein Zehntel aller türkischen Exporte gehen übrigens nach Deutschland), sollte er nicht auf Dollar und Euro schimpfen. Das klingt eher nach Verzweiflung als danach, Vertrauen wiederherstellen zu wollen.
Nicht Deutschland und nicht die deutsche Wirtschaft können der Türkei helfen. Das kann nur der Präsident selbst. Er muss für stabile Rahmenbedingungen sorgen, den Firmen und Investoren Sicherheit, auch und vor allem Rechtssicherheit geben. Er muss die Unabhängigkeit der Zentralbank respektieren und ihr nicht vorschreiben, sie habe die Zinsen zu senken, um die Inflation in den Griff zu bekommen. So herum funktioniert das nämlich nicht.
Die deutschen Unternehmen in der Türkei jedenfalls beobachten die Lage sehr genau und überdenken derzeit ihr Engagement vor Ort. Vor allem Mittelständler müssen scharf kalkulieren, wenn zum Beispiel Rohstoffe oder Maschinen teurer werden, weil sie in Dollar gehandelt werden. Textil- oder Sportartikelhersteller könnten dann schnell gezwungen sein, ihre Produktion Richtung Asien zu verlagern. Das alles sollte sich der Präsident vor Augen führen. Aber so ist das eben, wenn man sich nur noch mit Ja-Sagern umgibt und Kritiker lieber ins Gefängnis steckt: Man ist berauscht von der eigenen Ideologie und ersetzt wirtschaftliche Vernunft durch den Glauben an Gott.
Nichts gegen Gott. Aber in ökonomischen Fragen wird das am Ende nicht reichen.