Kommentar: Keine weiteren Pannen!
3. Mai 2013Deutschland in den 1970er Jahren. Bei der Terrorismusbekämpfung kannte die Bundesrepublik nur eine Richtung und die hieß links. Die Morde, Entführungen und Bombenanschläge der RAF (Rote Armee Fraktion) hatten den Staat herausgefordert und der Staat hatte mit allem was ihm zur Verfügung stand geantwortet: mit der Rasterfahndung, die damals flächendeckend zum Einsatz kam, mit Einsätzen der Polizei-Spezialeinheit GSG 9 und mit Unnachgiebigkeit gegenüber den Terroristen - auch zum Preis der Ermordung des damaligen Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer, der Geisel der RAF war. Der Feind stand links und alle - Politik, Justiz, Polizei und Verfassungsschutz - machten Front gegen den "roten Terror".
Auf dem rechten Auge blind
So stark die Hand der Staatsgewalt damals auch agierte, so lasch tat sie es bei den insgesamt zehn Morden, die die Mitglieder des rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) zwischen 2000 und 2007 zu verantworten haben. Und nicht nur der NSU zog mordend durchs Land: Es ist kaum zu glauben, aber seit 1990, dem Jahr der Deutschen Einheit, sind fast 150 Menschen Opfer rechten Terrors geworden. So mörderisch war die RAF bei weitem nicht! Die Ermittler waren offensichtlich auf dem rechten Auge blind, als sie manchmal stümperhaft, oft auch fahrlässig nicht sehen wollten, was nicht sein durfte: Es gibt in Deutschland eine gefährliche Rechte. Gemüsehändler, Schneider, Imbissbudenbesitzer wurden umgebracht, weil sie türkischstämmig waren. Getötet aus Hass. So erfolgreich der Staat dem RAF-Terror seinerzeit die Stirn geboten hatte, so unfassbar dilettantisch war er im Kampf gegen Rechts.
Tätersuche sogar unter den Opferfamilien
Einige Opfer würden heute noch leben, hätten die Behörden koordiniert die Großfahndung ausgerufen. Stattdessen wurde jeder Mord für sich und geradezu zusammenhanglos recherchiert. Und das zumeist auch noch von einfachen Polizisten. Kurz: Es wurde amateurhaft und nicht professionell vorgegangen. Die Erkenntnisse von heute belegen das. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder behielten ihr Wissen jeweils für sich, arbeiteten nicht zusammen, DNA-Proben an verschiedenen Tatorten wurden nicht verglichen, Provinz-Polizisten suchten nach Bankräubern, nicht nach Terroristen. Denn übersehen wurde, dass die Überfälle sogenannte Beschaffungsdelikte waren, also nur die Vorstufe zu den Mordfeldzügen markierten. Die Ermittler waren blind für diesen Zusammenhang. Neonazis wurden als verirrte Extremisten verniedlicht, nicht als Terroristen gesehen, die mit System mordeten. Als nachträgliche Verhöhnung muss es den Opferangehörigen vorgekommen sein, dass die Aufklärer lange die Täter im türkisch-kurdischen Umfeld suchten. Von "Mafiakriminalität" und "Bandenkriegen" war die Rede. Sogar der damalige Innenminister Otto Schily schloss rechte Gewalt seinerzeit pauschal aus - was er Jahre später bereute. Erst nach dem neunten von zehn Morden kam den Behörden der Verdacht, es könne einen rechtsextremen Hintergrund geben.
Prozess auf engem Raum
Alle Augen und Ohren sind nun auf Sitzungssaal A 101 in München gerichtet, Ort des größten Terror-Prozesses seit den 70er Jahren. Fünf Angeklagte, 77 Nebenkläger, zwölf Verteidiger, fünf Bundesanwälte, dutzende Zeugen. Ein Verfahren, das mehr als zwei Jahre dauern wird. Das Münchner Oberlandesgericht muss nun offenlegen, was die Sicherheitsbehörden in ihrem katastrophalen Versagen an Spuren verwischt und verschüttet haben. Die Sicherheitsanforderungen für diesen Mammut-Prozess sind groß. Deshalb gab es keine Alternative zum Saal A 101. Nur 50 Medienvertreter dürfen dabei sein. Das ist der Preis für die "Terrortauglichkeit" des Saales.
Wer nun direkt aus dem Saal berichten darf und wer nicht, auch das war nur pannenreich und im zweiten Anlauf zu klären. Nach den Ermittlungsfehlern nun auch das noch. Eine Groteske irgendwo angesiedelt zwischen beamtenhafter Prinzipienreiterei nach dem Motto "das haben wir immer schon so gemacht" und fehlendem Fingerspitzengefühl.
Angst vor der Revision
Dennoch: Das Festhalten an A 101, die Absage an eine Videoübertragung in einen zweiten Saal, in dem alle Medienvertreter den Prozess verfolgen könnten, das alles ist weder Starrsinn noch Unflexibilität des Oberlandesgerichtes. Anders als im Breivik-Prozess in Norwegen, der vor großem Publikum und per Live-Übertragung zu sehen war, lassen die Statuten deutscher Gerichte gleiches nicht zu. Die Münchner Richter haben Angst vor einer Revision aus formalen Gründen. Es wäre ein Albtraum, könnten die Verteidiger von Zschäpe & Co. das Urteil anfechten. Eine berechtigte Angst nach all den Pannen. Ab jetzt darf einfach nichts mehr schief gehen.