Mit Kanonen auf Spatzen
Manche Ideen sind nur mit der Verzweiflung ihrer Urheber zu erklären. Also müssen Angela Merkel und ihr türkischer Kollege Ahmet Davutoglu aus jeweils unterschiedlichen Gründen derzeit ziemlich entnervt sein. Beide suchen Unterstützung im Umgang mit der Flüchtlingskrise, und da geht es weniger um den praktischen Nutzen als um politische Initiativen an sich. Und weil es innerhalb der EU einfach nicht vorangeht, klopften die beiden Regierungschefs bei dem anderen großen Bündnis an. Die NATO funktioniert schließlich nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam, wenn eine Mission einmal beschlossen ist.
Keine Aufgabe für die NATO
Die erste Reaktion in NATO-Kreisen war ziemlich verblüfft: Der Kampf gegen Menschenschmuggler sei keine militärische Aufgabe und schon gar keine, die zur Zuständigkeit des Bündnisses gehöre. Und Generalsekretär Jens Stoltenberg reagierte erst einmal diplomatisch: Man müsse genauer hören, was sich die beiden Mitgliedsländer da vorstellten. Generell schien es bei anderen NATO-Partnern wenig Enthusiasmus für einen Einsatz in den türkisch-griechischen Meerengen zu geben.
Aber Bundesverteidigungsministerin von der Leyen konkretisierte, man könne ja die NATO-Marineeinheiten nutzen, die sowieso gerade im östlichen Mittelmeerraum stationiert seien. Sie sind im Einsatz, um die Nerven der Türken wegen der Präsenz russischer Bomberverbände im syrisch-türkischen Grenzgebiet zu beruhigen. Jetzt aber sollen einige dieser Schiffe - so die Idee - in den Gewässern zwischen der Türkei und Griechenland die Marine beider Länder bei der Jagd auf Schlepper unterstützen. Und wenn dann Schlauchboote aufgebracht und die Flüchtlinge gerettet sind, sollen sie nach deutschen Vorstellungen gleich wieder zurückgebracht und an der türkischen Küste abgesetzt werden.
Aufgabe für die Küstenwache, nicht für Kriegsschiffe
Natürlich soll bei diesem Einsatz nicht geschossen werden - dennoch ist der Eindruck stark, man wolle Kanonen einsetzen, um Spatzen abzuschrecken. Kriegsschiffe sind schließlich am allerwenigsten geeignet, eine Aufgabe zu erfüllen, die die gut ausgestattete Küstenwachen Griechenlands und der Türkei problemlos selbst erledigen könnten, wenn sie denn wollten.
Soll die NATO also hier als politische Aufsichtsinstanz dienen, um den beiden Mitgliedsländern zu zeigen, wie es geht? Oder soll sie Griechen und Türken entlasten, damit sie nicht selbst eingreifen müssen? Der genaue Zweck ist nicht deutlich und der tatsächliche Nutzen mehr als zweifelhaft.
Denn schließlich müsste die NATO sich zunächst mit den vergifteten griechisch-türkischen Beziehungen beschäftigen, um einen solchen Einsatz überhaupt möglich zu machen. Die Griechen insistieren, das Bündnis dürfe nur in türkischen Gewässern operieren.
Aber zwischen der Küste der Türkei und den griechischen Inseln gibt es viele sogenannte graue Seegebiete ohne nationale Zuordnung. Kann man sich vorstellen, wie NATO-Fregatten da im Zickzackkurs fahren auf der Jagd nach Schlepperbooten, die dann in griechischen Gewässern nicht mehr verfolgt werden dürfen, oder wie soll das gehen?
NATO-Einsatz soll von EU-Versagen ablenken
Dieser NATO-Einsatz ist eine Verschwendung von Zeit und Ressourcen, er ist überwiegend Symbolpolitik. Die ganze Aktion dient vor allem dazu, den Bürgern der beteiligten Länder entschlossenes Handeln vorzugaukeln. Dabei spielt sich das nächste Flüchtlingsdrama gerade an der syrisch-türkischen Grenze ab, wo zigtausende Menschen aus Aleppo Schutz suchen.
Die Staatengemeinschaft sollte sich darauf konzentrieren, ihnen zu helfen, statt sich in verfehlten Militäreinsätzen gegen Schlepper zu verzetteln. Sie sind sowieso der geringere Teil der Probleme, und wenn man den Flüchtlingen einen Weg versperrt, werden sie einen anderen finden. Die Flüchtlingskrise zeigt in erster Linie die grundlegende Unfähigkeit der EU, gemeinsam und solidarisch zu handeln. Und dagegen kann die NATO leider überhaupt nicht helfen.
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