Mehr Teilnehmer = mehr Freude in der Welt und mehr Geld - die Gleichung des FIFA-Chefs ist verlockend einfach. Doch kaum auf dem Tisch, wird sie niedergeschmettert - vor allem in Deutschland. "Eine Verwässerung der Qualität" befürchtet der Bundestrainer Joachim Löw, um die "Gesundheit der Spieler" sorgt sich der Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge.
Es ist klar: Die "großen" Fußballnationen, vor allem aus Europa, würden am liebsten unter sich bleiben. Man hat schlicht keine Lust sich mit "Fußballzwergen" wie Aserbeidschan, Albanien, Kamerun oder China zu beschäftigen. Diese Gegner wolle in Deutschland kaum jemand sehen, und diese Spiele würden nur die Verletzungsgefahr bei den teuren Nationalspielern, die bei den reichsten Klubs der Welt anheuern, erhöhen, so die gängige Meinung. Und das will man nicht! Punkt.
Allerdings ist die Welt, auch die Fußballwelt, etwas größer und bunter als Deutschland. In Baku, Tirana, Yaoundé oder Peking sieht man einiges anders als in Berlin. Aus dieser Perspektive hat es sehr wohl einen Sinn, die Zahl der WM-Teilnehmer zu erhöhen - denn dann erhöhen sich nicht nur die Chancen für viele Länder, dabei sein zu können und auf der ganz großen Bühne aufzutreten, sondern auch die Chancen, dass man etwas anderes erlebt, als die ewige Wiederkehr des Gleichen. Das bedeutet nicht unbedingt eine "Verwässerung" - man kann es auch als Bereicherung sehen.
Platz für neue Legenden
Denn Fußball lebt nicht nur davon, dass die üblichen Verdächtigen die Spiele unter sich austragen und verschiedene Titel Jahr für Jahr unter sich aufteilen. Das ist kein Stoff, aus dem die Legenden sind. Das ist für den Großteil der Welt nur die übliche Show des reichen Mainstreams. Fußball-Broadway. Business as usual. Dass Geld Tore schießt, hat sich überall rumgesprochen - das ist keine Story.
Die wahren Dramen, Emotionen, Fußballmythen und -legenden - das was in Erinnerung bleibt, auch Jahre und Generationen später - sind die Überraschungen, ist das Unerwartete, ja das Unmögliche. Es sind die Underdogs, die Geschichte schreiben, nicht die üblichen Favoriten.
Spannend ist, wenn Islands Amateure, wie bei der EM 2016 geschehen, Fußballfans in ganz Europa begeistern und mitzittern lassen, oder wenn ein Außenseiter, wie es die Bundesrepublik 1954 in der Schweiz war, gegen die hoch favorisierte Nationalmannschaft Ungarns ein WM-Finale gewinnt. Nur so konnte das Spiel zum "Wunder von Bern" werden. Keiner spricht heute vom Wunder von Rio de Janeiro - Deutschland ist gegen Argentinien wieder mal Weltmeister geworden. Der Großteil der Welt sagt dazu: So what? Und deswegen gilt auch die Gleichung: Je mehr Underdogs, desto höher die Chance, dass eine Geschichte entsteht.
Politische und finanzielle Ziele
Ja sicher, FIFA-Chef Infantino will durch die Erhöhung der WM-Teilnehmer seine Position im Verband stärken, er will sich so viele Stimmen wie möglich sichern. Und ja, klar: Er will damit für die FIFA noch mehr Geld verdienen. Das eine ist üblich und legitim. Infantino ist schließlich ein Fußballfunktionär, der wiedergewählt werden möchte. Und mehr Geld ist überall höchst willkommen: Gerade die besten und reichsten Klubs der Welt haben das bis zur Perfektion entwickelt. Das ist die Fußballrealität überall, und zwar nicht erst seit gestern.
Auch wenn man ihn suspekt findet und seine Motive nicht billigt, hat Infantino Recht, wenn er sagt, mehr WM-Teilnehmer bedeuten, dass mehr Länder und Regionen in der ganzen Welt glücklich wären. Dass dafür vielleicht eine WM von verschiedenen Ländern gemeinsam ausgetragen werden müsste, dürfte kein organisatorisches Problem sein: In einer globalisierten Welt, die ein riesiger Binnenmarkt ist, gehört Logistik zum Tagesgeschäft. Wenn man im Gegenzug - wenigstens für eine kurze Zeit - mehr internationale Zusammenarbeit und mehr Freude in der Welt hätte, und die Fußballhistorie um die eine oder andere Legende ergänzt würde, hätte sich der Aufwand allemal gelohnt.