Leichen im Keller
Als ich von diesem Kompromiss las, war mir unmittelbar zum Heulen zumute. Denn dieser Mittwoch brachte die Gewissheit: Was immer an finanziellen Risiken bei der Suche, dem Bau und der Endlagerung von hochradioaktivem Müll passieren kann: ich werde es als Steuererhöhungen zu spüren bekommen. Der Grund: Die vom Bund eingesetzte 19-köpfige Atomkommission hat ihren Masterplan zur Finanzierung des Atomausstiegs vorgelegt. Und der verheißt für mich kaum Gutes: die Risiken werden zu weiten Teilen auf die Öffentlichkeit abgewälzt.
Das Konzept sieht vor, dass der Staat und die vier beteiligten Konzerne sich die Kosten teilen. Die Unternehmen tragen die kurzfristigen finanziellen Risiken, der Staat die langfristigen. Im Detail bedeutet das: Die Stromkonzerne bauen die Atommeiler zurück – und verpacken den strahlenden Müll. Der Staat finanziert die Zwischenlagerung – und später die langfristige Endlagerung. Damit er das tun kann, erhält er von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW 23,3 Milliarden Euro in Cash. Das ist die Geldschatulle, angelegt als öffentlich-rechtlicher Geldfonds, mit der die Beseitigung des Atommülls bezahlt werden soll.
Die Rechnung wird höher
Und genau da fangen die Probleme an: Denn diese Geldschatulle erscheint ein wenig knapp bemessen. Der Kostenrahmen von 23,3 Milliarden Euro ist politisch gewollt – wissenschaftlich und betriebswirtschaftlich fundiert ist er deswegen noch lange nicht. Dabei ist es ein alter Zopf, dass mancher Linke und mancher Atomkraftgegner bezweifelt, dass die Endlagerung so kostengünstig zu haben sein wird. Aufhorchen lassen sollte einen, dass zuletzt auch viele Wissenschaftler und Ökonomen massive Zweifel gestreut haben, dass die Rechnung aufgehen kann. Viele schätzen, dass die Kosten eher doppelt so hoch liegen könnten. Manche rechnen gar mit einer Verdreifachung, was in Zahlen mehr als 60 Milliarden Euro wäre.
Auch wenn seriöse Prognose schwerfallen. Eines steht fest: Die Unternehmen werden, wenn dieser Deal Gesetz wird, aus der Verantwortung für Kostenexplosionen raus sein. Das verkehrt für mich das Verursacherprinzip ins Gegenteil dessen, was es sein sollte. Und es ist zudem Ausdruck von mangelnder Kreativität. Denn auch wenn jetzt immer wieder betont wird, dies sei ein "fairer Kompromiss". Es hätte alternative Modelle gegeben, die den finanziell schwer angeschlagenen Energiekonzernen Planungssicherheit gegeben hätte - ohne sie ganz aus der Verantwortung zu entlassen.
Vorbild Darlehensvertrag
Ein handelsüblicher Darlehensvertrag hätte als Vorbild gereicht. Ziemlich üblich ist dabei, dass nach zehn oder maximal fünfzehn Jahren die fest vereinbarten Darlehenskonditionen neu ausgehandelt werden. Eine solche Wiedervorlage wird es bei der Finanzierung des deutschen Atomausstiegs nicht geben – und das ist ein großer Fehler. Ohne Not schenkt der Staat Energiekonzernen damit volle Planungssicherheit, als Wette darauf, dass sie im krisengeschüttelten Energiemarkt überleben. Für den Steuerzahler bleibt dieser Deal im wörtlichen Sinn unberechenbar – was schon aus Gleichheitsgründen fraglich ist. 15 Jahre Planungssicherheit für die Konzerne hätten genügt, um die Finanzmärkte zu beruhigen. Und ob die Konzerne dann noch existieren, hätten auch neue Verhandlungen zeigen können.
Für die Atomkommission und ihren Ko-Vorsitzenden Jürgen Trittin war es undenkbar, die Stromkonzerne bei den Mehrkosten für die Endlagerung weiter in die Pflicht zu nehmen. Nicht mehr als eine "theoretische Möglichkeit" sei das, so Trittin. Das riecht förmlich nach jener "alternativlosen Politik", die in Zeiten der Eurokrise propagiert wurde, zu Recht viele Bürger gegen das Establishment aufgebracht hat. Denn wenn Deutschland jetzt einen Schlussstrich unter die Rechnung des Atommülls zieht, dann ist das im Prinzip gut. Dass dieser Schlussstrich aber teurer als notwendig ist, das ärgert mich. Und es ist sicher nicht die letzte finanzielle Leiche im Keller.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!