Hafiz Ibrahim war gerade mal 16 Jahre alt, als er im Hof eines jemenitischen Gefängnisses zum ersten Mal vor einem Erschießungskommando stand. In buchstäblich letzter Sekunde wurde die Exekution ausgesetzt. Zwei Jahre später sollte der junge Mann erneut hingerichtet werden - es war der 8. August 2007. Ibrahim gelang es, über ein ins Gefängnis geschmuggeltes Mobiltelefon Kontakt mit Amnesty International herzustellen. Die Organisation intervenierte beim jemenitischen Präsidenten. Die Hinrichtung wurde erneut ausgesetzt. Ende 2007 wurde Ibrahim aus der Haft entlassen. Seine Unschuld war bewiesen worden. Danach wurde er Anwalt, um sich für minderjährige Häftlinge in jemenitischen Todeszellen einsetzen zu können.
Einsatz gegen Todesstrafe rettet Leben - auch unschuldiges
Warum ist diese Geschichte wichtig? Sie zeigt, dass der 10. Oktober nicht zu Unrecht zum "Tag gegen die Todesstrafe" erklärt wurde. Ja, es gibt eine Inflation solcher "internationaler Tage". Aber Fakt ist: Auch heute noch kann der Einsatz gegen die Todesstrafe Leben retten.
Eigentlich können sich die Erfolge im Kampf gegen die Todesstrafe sehen lassen. Über 140 Staaten wenden die Todesstrafe seit mindestens zehn Jahren nicht mehr an. 2015 strichen vier weitere Staaten die Todesstrafe aus ihren Gesetzbüchern. Und auch in den USA wächst die Skepsis gegenüber dieser Form der Strafe, von der es zu Recht heißt, sie sei "ein Symptom für eine Kultur der Gewalt, keine Lösung dafür". Wenn dort die Todesstrafe abgeschafft würde, wäre das ein wichtiges Signal. Doch noch immer sterben in sechs US-Bundesstaaten Menschen von staatlicher Hand. So wie vergangene Woche in Texas der 58-jährige Barney Fuller. Es war die 16. Hinrichtung in diesem Jahr in den USA. Im gesamten Jahr 2015 waren es 28. Die Zahl der außergerichtlichen Exekutionen mit Drohnen sind da allerdings nicht eingerechnet.
Verdreifachung der Hinrichtungen
Was besonders nachdenklich macht: Zwar schaffen immer mehr Staaten Galgen und Guillotine, elektrischen Stuhl und Giftspritze ab. Dennoch steigt die Zahl der Hinrichtungen. Abgesehen von China, wo man nicht genau weiß, wie viele Menschen hingerichtet werden, die Zahl aber auf Tausende schätzt, und vom Islamischen Staat, wo man von etwa 4000 Hinrichtungen ausgeht, wurden im vergangenen Jahr 1634 Exekutionen dokumentiert. Das sind fast dreimal so viele wie noch 2014! Der Löwenanteil mit knapp 90 Prozent entfällt dabei auf gerade einmal drei Staaten: Iran, Pakistan und Saudi-Arabien.
Und was noch nachdenklicher macht: In einigen Staaten wird laut über die Wiedereinführung der Todesstrafe nachgedacht - besonders prominent in der Türkei nach dem gescheiterten Putschversuch. Aber auch Ungarns Präsident Orban hat mit öffentlich mit diesem Gedanken geflirtet, in Tadschikistan spricht sich der Generalstaatsanwalt dafür aus und selbst in Israel gibt es eine Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe, wie die New York Times im August beklagte.
Lynchjustiz auf den Phillipinen
Geradezu unerträglich ist die Art und Weise, wie sich der neue philippinische Präsident Rodrigo Duterte über das verbriefte Grundrecht auf Leben hinwegsetzt: Nur etwas mehr als 100 Tage im Amt, hat Duterte auf den Philippinen eine Kultur polizeilicher Lynchjustiz etabliert, bei der Todesschwadronen echte und vermeintliche Drogenhändler ohne lästige Prozesse einfach erschießen.
All das zeigt: Erreichte Standards bei den Menschenrechten kann man nicht als selbstverständlich betrachten. Sie müssen dauerhaft verteidigt werden. Auch mit Mitteln wie einem "Internationalen Tag gegen die Todesstrafe."
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