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Interessenspolitik in Reinkultur

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Jens Thurau
22. Januar 2016

Hilf mir bei der Flüchtlingspolitik, und ich gebe Dir Geld und endlich mehr Beachtung: Angela Merkel und der türkische Regierungschef Davutoglu haben in Berlin ein echtes Stück Realpolitik aufgeführt, meint Jens Thurau.

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Angela Merkel und Ahmet Davutoglu am Kabinettstisch (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images/M. Hiti

Großer Bahnhof für die türkische Regierung in Berlin: Die Kanzlerin empfing nicht nur ihren Amtskollegen aus Ankara, Davutoglu, sondern auch dessen wichtigste Minister. Sie selbst hatte den Vizekanzler, den Außenminister und weitere Kabinettsmitglieder mitgebracht. Regierungskonsultationen nennt man das - nur mit rund zehn Staaten pflegt Deutschland die. Das müssen nicht immer enge Freunde sein: Mit China und Indien, auch mit Russland gibt es solche großen Regierungstreffen, nicht aber mit den USA. Aber eines spielt immer eine Rolle: Bei Regierungskonsultationen sind klare Interessen im Spiel.

Merkels ist angewiesen auf die Türkei

Angela Merkel hat die Türkei eigentlich immer skeptisch betrachtet: Der neue, islamische Nationalismus mit Präsident Erdogan an der Spitze ist ihr fremd, sie weiß von Menschenrechtsverletzungen, der Gängelung von Journalisten, von dem harten Vorgehen gegen die Kurden im Südosten der Türkei. Aber sie weiß auch: 2016 kann das wichtigste Jahr ihrer bisherigen elf Jahre im Kanzleramt werden, sie muss eine Lösung finden in der Flüchtlingsfrage, die sie innenpolitisch unter Druck setzt wie kein anderes Thema. Und die Türkei spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Nur die Türkei kann für eine spürbare Verringerung der Zahl von Flüchtlingen vor allem aus Syrien sorgen. Dafür, dass sie das tun, haben die EU-Länder den Türken schon vor einigen Wochen drei Milliarden Euro versprochen. Unverhohlen hat Regierungschef Davutoglu jetzt noch mehr Geld gefordert, in einem Interview. In Anwesenheit der Kanzlerin hat er das nicht wiederholt, musste er auch nicht, die Forderung ist im Raum. Bislang, und das zeigt wie gelähmt die EU zur Zeit ist, hat Ankara kein Geld gesehen, um Sammelunterkünfte für Flüchtlinge zu bauen und die Grenzen besser zu überwachen.

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Jens Thurau ist Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Die Türkei will ernst genommen werden

Fast gar keine Erwähnung bei der Pressekonferenz fanden interessanterweise die auf Eis liegenden Beitrittsgespräche der EU mit der Türkei. Immerhin erwähnte die Kanzlerin das oft überharte Vorgehen des türkischen Militärs gegen die Kurden im Südosten des Landes, allerdings nur am Rande. Dafür konnte Davutoglu breit erläutern, wie eng die Türkei an Deutschlands Seite im Kampf gegen den Terror des IS stehe. Das ist wohl zurzeit auch so, vor allem nach den jüngsten furchtbaren Anschlägen - war aber noch vor wenigen Monaten anders. Da waren eher die Kurden Ankaras Hauptfeind.

Die Türkei, das ist zu spüren, will Anerkennung in Europa, ernst genommen werden. Das geschieht jetzt durch den Druck der vielen Flüchtlinge. Und für Merkel ist Ankara in diesen Schicksalswochen ihrer Kanzlerschaft ein ganz entscheidender Faktor. Interessenspolitik nennt man das - auf beiden Seiten.

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