Kommentar: Ideologische Appelle helfen nicht
24. November 2005
An der Zuwanderung schieden sich schon immer die Geister: Während für das rechte Lager in Industriestaaten wie Deutschland die Aufnahmekapazität meist schon erschöpft ist, verklärt das linke Lager den enormen Nutzen, den die heile Multi-Kulti-Traumwelt der Gesellschaft bringen soll. Beides ist falsch. Für die Lösung der Migrationsfragen braucht es keine Ideologien, sondern Ehrlichkeit. Und zu dieser Ehrlichkeit gehört die Feststellung im jüngsten Bericht der Globalen Kommission für internationale Migration (GCIM), dass die meisten Migranten eben keine Flüchtlinge sind, sondern dass sie schlicht und ergreifend auswandern, weil sie anderswo besser zu leben glauben. Nach rechter Leseart wären sie demnach Wirtschaftsflüchtlinge.
Wahr ist aber auch, dass eine Gesellschaft wie die deutsche angesichts der demographischen Entwicklung Zuwanderung braucht. Das hat inzwischen selbst das rechte Lager verstanden. Allerdings macht Zuwanderung nur dann Sinn, wenn es auch eine Integration gibt. Nicht ein multi-kulturelles Nebeneinander ist das Ziel, sondern ein integriertes Miteinander.
Auch die Migranten sind gefordert
Es gibt daher keine Frage mehr des Ob, sondern des Wie - und dies betrifft beide Seiten, die Inländer und die Zuwanderer. Die Inländer müssen die integrationsbereiten Zuwanderer nicht nur dulden, sondern ihnen eine echte Perspektive bieten. Was sie brauchen ist nicht nur eine Aufenthaltserlaubnis, sondern die Chance, als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft anerkannt zu werden. Und dazu muss viel investiert werden, nicht zuletzt in Bildung und Ausbildung von jugendlichen Migranten.
Eine ehrliche Integration klappt aber nur, wenn sich die Migranten ganz klar entscheiden, ein Teil dieser Gesellschaft sein zu wollen. Und dazu gehört nicht nur die Kenntnis der Sprache, sondern vor allem das klare Bekenntnis zu ihren Freiheiten und Grundrechten.
Perspektiven in den Heimatländern schaffen
Der Migrationsbericht GCIM steckt voller ideologischer Appelle: Immer wieder verweist die Kommission vor allem auf die Potenziale von Migranten. Wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückkehrten, brächten sie Wissen und Demokratie-Erfahrung mit. Sie könnten damit einen Beitrag zu guter Regierungsführung und dem Aufbau einer Zivilgesellschaft leisten. Das stimmt. Der kleine Schönheitsfehler bei dieser Überlegung ist nur, dass viele Migranten eben nicht irgendwann in ihre Heimat zurückkehren, sondern dass sie sich in einem anderen Land eine neue Heimat aufbauen - in Ländern wie Deutschland beispielsweise.
Sicherlich können einige als Brückenbauer zwischen den Ländern dienen. Viel wichtiger wäre es aber, den Menschen in ihrer eigentlichen Heimat eine Perspektive zu geben, indem die Europäer, aber nicht nur die, etwa ihre Märkte für landwirtschaftliche Produkte nicht weiter abschotten. Denn nur so kann verhindert werden, dass auch noch die jungen und die wenigen hochqualifizierten
Menschen ihrer Heimat den Rücken kehren. Dafür aber bräuchte es eine gesamteuropäische Lösung - oder sogar, wie es sich UN-Generalsekretär Kofi Annan von der Kommission erhofft, eine globale Lösung für die Herausforderungen der Migration.