Oberflächlich betrachtet gibt es einen klaren Schuldigen für Italiens Fußball-Katastrophe und das Scheitern in den WM-Playoffs gegen Schweden: Gian Piero Ventura. Der 69-Jährige trägt als Trainer naturgemäß die Verantwortung für Leistung und Ergebnisse seiner Mannschaft.
Dabei spielte das Team gar nicht schlecht. Über 180 Minuten gegen Schweden zeigten die Italiener Leidenschaft, Engagement und Herz. Es war das Ergebnis, das ganz Italien schockierte, und das Ventura zu verantworten hat. Als Nationaltrainer scheint er nicht mehr haltbar.
Offensiv ohne Konzept und Verstand
Italiens Mannschaft schaffte es nicht, gegen ultra-defensiv eingestellte Schweden ein Tor zu erzielen. Ironischerweise scheiterte der viermalige Weltmeister damit an dem von ihm selbst über Jahrzehnte kultivierten Catenaccio, bei dem oft ein Tor für einen Sieg reichte, weil man selber keines kassierte.
Die Squadra Azzurra stellte über Jahrzehnte Teams, die die Qualität besaßen, immer dann, wenn es darauf ankam, den Druck zu erhöhen und Tore zu erzwingen. Was Venturas Team gegen Schweden zeigte, war kopfloses, teils wütendes Anrennen nach vorne. Hektische Verzweiflung statt gelassener Überlegenheit.
Es fehlten die Ruhe und Genialität eines Andrea Pirlo, der den Gegner mit Standards stets zu überraschen wusste, die Kreativität und Torgefährlichkeit aus dem Mittelfeld eines Francesco Totti oder auch die schlichte Vollstrecker-Mentalität eines Luca Toni, um nur einige Namen zu nennen.
Warum Ventura im Rückspiel bei einem unbedingt benötigten Tor auf eine Einwechslung des beim SSC Neapel in Top-Form aufspielenden Lorenzo Insigne verzichtete, war das letzte in einer ganzen Reihe von Fragezeichen. Ein Team aus guten Fußballern spielte mit Leidenschaft gegen einen Außenseiter und scheiterte, obwohl keiner im klassischen Sinne schlecht spielte. Wie konnte es dazu kommen?
"Irgendwie wird das schon klappen" als Motto
Die Situation nach einer nicht berauschenden Europameisterschaft 2016, bei der Italien im Viertelfinale scheiterte, war nicht einfach, weil der ehrgeizige und erfolgreiche Antonio Conte einem Angebot des FC Chelsea folgte. Der Verband musste einen Trainer ersetzen, den er am liebsten behalten hätte.
Und er tat das mit einer Lösung, die vor Ideen- und Hilflosigkeit förmlich strotzte. Eine Frischzellenkur sowohl im Trainerteam als auch in der Mannschaft blieb nach der EM aus. Die Quittung gab es jetzt. Man hatte wohl gehofft, dass ein x-beliebiger Trainer die Chiellinis und Barzaglis schon nach Russland bringen würde. Irgendwie würde es klappen. Nach der Katastrophe von Mailand ist klar: Es muss neu gedacht werden. Alles.
Ventura hat keinen seiner Schützlinge spielerisch weiterentwickelt und zu dem Genius im Spielaufbau gemacht, der den Italienern gegen Schweden fehlte. Dabei hätten die Verantwortlichen des Verbandes vorher wissen müssen, dass sie mit Ventura alles, nur keinen Erneuerer an Bord holen.
Die nächsten Tage, Wochen und Monate werden Fußball-Italien noch viele Schmerzen bereiten, das fatale WM-Aus wird einige Zeit in Anspruch nehmen, bis es verdaut ist. Gut für den italienischen Fußball ist aber, dass neben dem untröstlichen Gianluigi Buffon auch Giorgio Chiellini, Andrea Barzagli und Daniele de Rossi zurücktreten. Zwar sind sie verdiente Spieler der Squadra Azzurra, denen Respekt für ihre Leistungen im Nationalteam gebührt, doch genauso respektabel ist nun ihre Entscheidung, den Weg für einen wirklichen Neuanfang in der italienischen Nationalmannschaft frei zu machen.
Denn der ist jetzt nötig, und das Papier, auf dem er geschrieben wird, sollte möglichst wenige große Namen des großen Scheiterns gegen Schweden beinhalten.
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