Hat sie das wirklich gesagt? Hält Greta Thunberg, die 16 Jahre alte Gallionsfigur der weltweiten Schüler- und Studentenstreiks für den Klimaschutz, die Kernenergie für einen möglichen Teil der Lösung im Kampf gegen die Treibhausgase? Ja, das hat sie gesagt, und schaut man genau hin, dann ist das auch folgerichtig.
Wenn Reduktion der Treibhausgase die absolute Priorität ist
Tatsächlich listen die Berichte des Weltklimarats IPCC, auf die sich Thunberg bezog, die Kernenergie auf als eine der nicht-fossilen Energieformen. Das ist kein Wunder, denn die IPCC-Berichte werden nach aufwändigen Konsultationen der Länder der Erde erstellt, und immer noch werden in 31 Ländern weltweit fast 450 Kernreaktoren betrieben. Nur in Deutschland wird das gern übersehen, weil hier bis 2022 alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Und zweitens liegt es in Thunbergs ureigener Logik, den Kampf gegen die Treibhausgase zur absoluten Priorität zu erklären. Und alle anderen möglichen Gefahren, etwa die, die von der Kernenergie ausgehen, eben nur zur Nebensache. Dennoch war die junge Schwedin vom sofort erhobenen Vorwurf, eine "Atomlobbyistin" zu sein, so irritiert, dass sie schnell nachschob, sie persönlich sei eine Gegnerin der Atomkraft.
Das zeigt, welch komplexes Thema sich Greta Thunberg da ausgesucht hat für ihr konsequentes Engagement. Ihre Bewegung bezieht ihre Strahlkraft aus einer klaren Botschaft ("Jetzt sofort mit dem Klimaschutz beginnen!") und aus der damit verbundenen Aktion ("Wir streiken so lange, bis endlich gehandelt wird!"). Das geschieht der heutigen Eltern- und Großeltern-Generation recht, denn tatsächlich gibt es seit gut drei Jahrzehnten kaum ein Thema, bei dem wissenschaftliche Erkenntnis und daran ausgerichtete Politik so weit auseinanderklaffen wie beim Klimaschutz. Aber für Greta Thunberg und ihre Bewegung heißt das dann auch, dass sie langfristig jedenfalls nicht um Antworten darauf herumkommt, wie das "schnelle Handeln" denn konkret aussehen soll. Und dass "runter mit dem Ausstoß von Klimagasen" einhergehen muss mit der Antwort auf die Frage, wie denn Energie bereit gestellt werden kann für heute schon über sieben, bald aber acht und neun Milliarden Menschen.
Und uns Deutschen zeigt die Aufregung um Greta und die Kernenergie, wie speziell unser Weg in der Energiepolitik ist - weltweit gesehen: Verzicht auf Atomstrom, Ausbau der Erneuerbaren. Und jetzt, nach langen Mühen - und was den Klimaschutz angeht eher zu spät als rechtzeitig - das Aus für die Kohle. Gerade die Konzentration auf die Projekte Atomausstieg und Umstieg auf Erneuerbare Energien hat in Deutschland dazu geführt, dass andere Sektoren mit hohen Emissionen einfach übersehen wurden: Der Verkehr, die Landwirtschaft, die Gebäude. Und deshalb sind die Emissionen zuletzt wieder gestiegen im einstigen Klimavorzeigeland.
Widersprüche und Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel
Alles nicht so einfach mit dem Klimaschutz. Greta Thunbergs zentrale Botschaft aber bleibt richtig: Die Staaten der Erde müssen endlich handeln, denn viel Zeit bleibt nicht mehr. Der Impuls ist wichtig, um auf dem Weg zum Ziel mit Widersprüchen und Stolpersteinen leben zu können. Und richtig ist auch: Wenn die Staaten sich wirklich - wie von Thunberg gefordert - in den nächsten Jahren zu einer Politik durchringen, die das Klima wirklich schützt, dann wird es hier und da dennoch weiter Atomkraftwerke geben. In China etwa, das auch die Erneuerbaren Energien massiv ausbaut, sind 19 neue Reaktoren in Planung.