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Kommentar: Freispruch zweiter Klasse

14. Januar 2016

Nach den neuen Enthüllungen der WADA-Untersuchungskommission zum Dopingskandal in der Leichtathletik ist IAAF-Chef Sebastian Coe eigentlich nicht mehr zu halten, findet DW-Sportredakteur Stefan Nestler.

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Der Präsident des Leichtathletik Weltverbandes IAAF im Porträt (Foto: picture-alliance/dpa/S.Hoppe)
Bild: picture-alliance/dpa/S.Hoppe

Sebastian Coe kann allenfalls kurz aufatmen. Zwar erhielt der IAAF-Präsident Rückendeckung von Richard Pound, dem Vorsitzenden der WADA-Untersuchungskommission, der sagte, er könne sich keinen Besseren vorstellen als Lord Coe, um den ruinierten Ruf des Leichtathletik-Weltverbands IAAF wiederherzustellen. Doch einen Grund dafür lieferte Pound nicht mit. Gegenargumente für einen Verbleib Coes an der Spitze der IAAF lassen sich dagegen im Bericht der unabhängigen WADA-Kommission zum Doping- und Korruptionsskandal sehr wohl finden.

Der Brite ist schließlich bereits seit 2003 Mitglied des IAAF-Council. Und diesem höchsten Gremium der Leichtathletik habe "das Niveau der Vetternwirtschaft nicht verborgen geblieben sein können", heißt es in dem Bericht. Mit anderen Worten, da haben einige sehr fest beide Augen zugedrückt, als Coes Vorgänger, Ex-IAAF-Präsident Lamine Diack, sein korruptes Netz knüpfte. Nebenbei gefragt: Wer hielt eigentlich beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) die schützende Hand über Diack und Konsorten, als sie in der olympischen Kernsportart Leichtathletik ihr Unwesen trieben?

Sportpolitische Mitverantwortung

Coe ist nicht nur seit mehr als einem Jahrzehnt Mitglied des IAAF Council, sondern war von 2007 bis 2015 auch Vizepräsident des Weltverbands. Er gehört also seit Jahren zur obersten Führungsriege. Wenn Coe etwas von der Korruption innerhalb der IAAF gewusst hätte, hätte er sicher etwas dagegen getan, verteidigte Richard Pound den Briten. Die Gegenfrage lautet: Hätte er es als Mitglied des innersten Zirkels nicht wissen müssen? Oder hätte er nicht wenigstens kritisch nachfragen müssen, als Diack seine Familienmitglieder und seinen Anwalt auf Schlüsselpositionen der IAAF hievte.

IAAF-Präsident Lord Sebastian Coe (l.) und sein Vorgänger Lamine Diack (r.) sitzen bei einer Pressekonferenz nebeneinander (Foto: picture-alliance/dpa/F.Robichon)
Verhängnisvolle Nähe: IAAF-Präsident Lord Sebastian Coe (l.) und sein Vorgänger Lamine DiackBild: picture-alliance/dpa/F.Robichon

Als eine ARD-Fernsehdokumentation Ende 2014 systematisches Doping in Russland aufdeckte, wetterte Coe, damals noch IAAF-Vizepräsident, zunächst gegen die Journalisten und sprach von einer Kriegserklärung an die Leichtathletik. Ganz so, als seien sie die Nestbeschmutzer und nicht die Athleten, die dopen oder die Funktionäre, die dies vertuschen wollten. Wollte er vielleicht davon ablenken, dass er als IAAF-Vizechef eine sportpolitische Mitverantwortung für den Skandal trägt, egal ob er von den Missständen wusste oder nicht?

Radikaler Schnitt ist nötig

Der Tenor des Berichts der WADA-Kommission ist unmissverständlich: Der Weltverband hat im Kampf gegen Doping in Russland und anderen Ländern sowie Korruption in den eigenen Reihen komplett versagt. Das lässt nur einen Schluss zu: Die IAAF braucht jetzt - ähnlich wie der Fußball-Weltverband FIFA nach Joseph Blatter - einen radikalen Schnitt. Umfassende Reformen sind nötig, mit unverbrauchtem, unbelastetem Personal an der Spitze. Das spricht gegen Sebastian Coe nach seinem Freispruch zweiter Klasse.

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DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter