Frauen sind kein Freiwild!
Ein Mann trifft seine Ex-Frau in einem Café. Sie sprechen über das Sorgerecht für die zehnjährige Tochter, die auch dabei ist. Der Mann fühlt sich "beleidigt" (so sagt er später) und sticht mit einem Messer mehrfach auf seine Ex-Frau ein. "Ich will nicht sterben", ruft die Mutter, das Kind bettelt: "Mama, bitte stirb nicht!"
So zeigt es ein Handyvideo, das die Türkei und die Netzgemeinde erschüttert. Die 38-jährige Emine Bulut stirbt kurz nach dem Angriff im Krankenhaus.
In der Türkei haben daraufhin tausende Demonstranten gegen Gewalt gegen Frauen protestiert, Prominente, Politiker und die Istanbuler Fußballclubs Beşiktaş und Fenerbahçe verurteilen den Mord, die Fenerbahçe-Spieler treten in schwarzen Trikots mit dem Schriftzug #EmineBulut auf.
Dabei ist Emine Bulut nur ein Opfer von Hunderten in der Türkei - pro Jahr.
Und das, obwohl die Türkei die Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen des Europarats unterzeichnet hat, genauso wie fast alle der 47 Mitgliedsländer. Nur: Umgesetzt hat die türkische Regierung die zahlreichen Maßnahmen zum Gewaltschutz nicht.
Gewalt gegen Frauen ist patriarchal und global
Allerdings: Auch die deutsche Bundesregierung hat die Istanbul-Konvention unterzeichnet - und auch in Deutschland sind nicht alle Punkte der Konvention erfüllt. Die Frauenhäuser müssen beispielsweise regelmäßig Schutzsuchende abweisen, weil sie zu wenig Plätze haben - sie werden nicht ausreichend finanziert. Und auch in Deutschland sind nach der jüngsten Statistik fast 150 Frauen innerhalb eines Jahres von ihrem (Ex-)Partner getötet worden.
Eine Untersuchung für alle EU-Länder zeigt: Ein Drittel aller Frauen erlebt körperliche und/oder sexuelle Gewalt, die Mehrheit davon durch den eigenen Mann oder Lebensgefährten. Und nur ein Drittel dieser Betroffenen wendet sich danach an die Polizei oder eine Hilfsorganisation.
Räumen wir also mit ein paar Vorurteilen auf:
Erstens: Mord und Totschlag an Partnerinnen und Gewalt gegen Frauen generell ist (ungeachtet quantitativer Unterschiede) kein nationales und auch kein kulturelles Phänomen. (Auch wenn manche Täter sich gerne mit Verteidigung ihrer mutmaßlichen "Ehre" rechtfertigen.)
Zweitens: Das eigene Zuhause ist für viele Frauen ein gefährlicher Ort. Dabei geht es nicht einfach um "Beziehungstaten". Das Problem ist ein politisches.
Denn Gewalt gegen Frauen ist strukturell in unseren patriarchalen Gesellschaften. Immer noch. Trotz all der internationalen und nationalen Resolutionen, Konventionen, Aktionspläne und Gesetze - trotz feministischer Kämpfe, bewundernswerter Bemühungen (von Frauen und Männern!) und beachtlichen Fortschritten.
Die Macht der Gewalt - die Gewalt der Mächtigen
Sei es in staatlichen Strukturen - in den Diktaturen, Folterkellern und Kriegen dieser Welt werden immer noch Frauen vergewaltigt, um Gegner zu brechen. (Da schließt sich der Kreis zur "Ehre".)
Sei es in gesellschaftlichen Strukturen - wenn mit Donald Trump einer der mächtigsten Männer der Welt feixend behauptet, solange man Einfluss habe, könne man(n) den Frauen ungestraft zwischen die Beine fassen. Was für ein Signal! Nicht erst #MeToo hat öffentlich gemacht, dass das kein Einzelfall ist.
Die Strafverfolgung von häuslicher Gewalt weltweit reicht von unbefriedigend bis lausig. Gerechtigkeit widerfährt den Betroffenen in den oft männlich dominierten Polizeiapparaten und Justizsystemen nur selten; auch deswegen zeigen sie nur einen Bruchteil der Taten überhaupt an.
Frauen gelten vielen Männern immer noch als Freiwild. Von Partnerschaft und Augenhöhe keine Spur.
Nein, ich setze traumatisierende, lebenszerstörende Gewalt nicht gleich mit sexistischen Bemerkungen - natürlich gibt es da einen Unterschied. Und ja, in manchen Ländern ist das Ausmaß der Gewalt weit massiver als in anderen. Aber das Grundproblem bleibt ein weltweites und ein strukturelles. Und solange wir dafür das Bewusstsein nicht in allen Köpfen verankern, geben wir es von Generation zu Generation weiter.