Kommentar: Fragwürdiger Fragebogen
6. Januar 2006Was würden Sie antworten, wenn Sie folgende Aussage kommentieren sollten: "Demokratie ist die schlechteste Regierungsform, die wir haben, aber die beste, die es gibt." Fällt ihnen die Antwort auf Anhieb ein oder kommen Sie ins Grübeln? Letzteres wäre solange nicht weiter schlimm, falls Sie deutscher Staatsbürger sind oder aus einem nicht-islamischen Land stammen. Ist das nicht der Fall, dann könnte dies mitunter zum Problem werden. Denn es handelt es sich um eine von 30 Fragen im so genannten Gesinnungstest, mit dem seit Anfang des Jahres die baden-württembergische Landesregierung einbürgerungswillige Muslime auf ihre "innere Einstellung zur Verfassungsordnung" prüft. Hand auf's Herz: Selbst manch deutscher Staatsbürger käme bei der Beantwortung der Frage ins Schleudern.
Zweifelhafter Erkenntnisgewinn
Dass der Gesprächsleitfaden der baden-württembergischen Einwanderungsbehörden in der öffentlichen Diskussion hierzulande hohe Wellen schlägt, hat mehrere Gründe. Zum einen werden eine ganze Reihe von Fragen gestellt, die die innere Haltung der Kandidaten auf eine Weise auf den Prüfstein stellt, wie es nicht einmal deutschen Staatsbürgern zugemutet wird. Etwa die Frage nach der Einstellung zur Homosexualität. Das gilt in Deutschland schließlich als reine Privatsache, die niemanden - auch den Staat - etwas angeht.
Schwerer wiegt jedoch die Tatsache, dass der Fragenkatalog ausschließlich Menschen gestellt wird, die aus muslimischen Ländern stammen, was die baden-württembergische Landesregierung mit dem Hinweis rechtfertigt, dass nach einer Untersuchung ein Fünftel der in Deutschland lebenden Muslime findet, das Grundgesetz sei nicht mit dem Islam vereinbar.
Das stimmt in der Tat bedenklich. Und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass Parallelgesellschaften in Deutschland ein Problem darstellen. Aber kann ein Gesinnungstest verhindern, dass Eingebürgerte in solche Parallelwelten oder gar in den Terrorismus abtauchen? Es erscheint naiv zu glauben, Fundamentalisten könne man per Fragekatalog herausfiltern. Schwer vorstellbar, dass ein potenzieller Terrorist bei seiner Einbürgung die Attentäter vom 11.September tatsächlich als "Freiheitskämpfer" bezeichnet. Gesinnung lässt sich nun mal nicht von außen überprüfen.
Wahlkampftaktische Aspekte
Eines ist unbestritten: wer sich in Deutschland einbürgern lassen will, muss die Grundwerte der Verfassung respektieren. Es ist auch eine Tatsache, dass dies keineswegs immer der Fall ist. Aber diese Forderung richtet sich nicht nur an Muslime, sondern an alle Einbürgerungswilligen. Dass das baden-württembergische Ministerium hierbei eine feine Trennung unternimmt zwischen Einbürgerungswilligen aus islamischen und nicht-islamischen Ländern, empfinden viele islamische Interessenvertreter - aber auch zahlreiche deutsche Politiker - verständlicherweise als ausgrenzend und diskriminierend. Möglicherweise ist dieser in Deutschland bislang einmalige Vorgang auch unter einem ganz anderen Aspekt zu betrachten. In drei Monaten wird in Baden-Württemberg eine neue Landesregierung gewählt. Der Wahlkampf ist seit dieser Woche eröffnet.