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Politik

Ende des Honeymoons in Äthiopien

Kommentarbild Ludger Schadomsky
Ludger Schadomsky
2. April 2019

Die großen Hoffnungen, die der Reformpremier Abiy Ahmed vor einem Jahr geweckt hat, sind massiver Enttäuschung gewichen. Doch der äthiopische Frühling ist noch nicht verloren, meint Ludger Schadomsky.

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PM Abiy Ahmed in der Frankfurt Arena
Hoffnungsträger auf Hemden - Äthiopiens Reformpremier Abiy AhmedBild: DW/W. Tesfalem

Beginnend mit dem 2. April 2018 hat das afrikanische Wirtschaftswunderland Äthiopien einen Boom der ganz besonderen Art erlebt: Die Souvenirhändler auf dem zentralen Meskel-Platz in der Hauptstadt Addis Abeba hatten Mühe der Massen Herr zu werden, die ihnen T-Shirts, Sticker und Fahnen mit dem Konterfei des jungen Reform-Premiers Abiy Ahmed aus der Hand rissen. Die allgegenwärtigen Poster mit Fußballgrößen aus der englischen Premier League wurden überklebt mit Motiven des "Popstars" Abiy - unerhört war das und unter diesen sonst so wenig zu Euphorie neigenden Menschen auch noch nie zuvor zu sehen. 

Was war passiert? Gerade hatte sich ein nahezu unbekannter 41-jähriger Soldat und Geheimdienstmitarbeiter daran gemacht, die ideologisch verblendeten Apparatschiks aus dem Amt zu jagen, die Gefängnisse zu leeren und sogar den Erzfeind Eritrea zu umgarnen. Ein Oromo obendrein, und damit zum ersten Mal ein Mitglied der mit Abstand größten Volksgruppe des Landes, nachdem zuvor ein Minderheitenregime drakonisch regiert und korrumpiert hatte. Ein Drehbuch wie gemacht für Hollywood - und schon riefen die Ersten nach dem Nobelpreis.

Enttäuschte Erwartungen

1,8 Millionen Binnenflüchtlinge und ein gutes Dutzend ethnischer Konflikte mit Hunderten Toten später haben sich die Souvenirverkäufer vom Meskel-Platz in die langen Schlangen arbeitsloser Äthiopier eingereiht. Auch die Euphorie bei Einheimischen und Diplomaten ist merklich abgekühlt. Und vom Nobelpreis spricht in den buna bets, den bevölkerten Kaffeehäusern des Landes, niemand mehr.

Kommentarbild Ludger Schadomsky
Ludger Schadomsky leitet die Amharische Redaktion

Inzwischen halten viele Äthiopier das Reformtempo ihres Premiers für zu hoch und die Demokratiedividende für viel zu gering. Das smarte Auftreten Abiys, das neue Büro-Interieur und die vielen Social-Media-Kanäle, die gestern noch als weltgewandt und charismatisch galten, sind heute Gegenstand von Spott und Häme. Seine Gleichstellungspolitik wird ebenso als Symbolik gegeißelt wie die Versöhnungspolitik nach Innen. Und dass der Neue 2020 wählen lassen will und schon mit einer Verfassungsänderung kokettiert, geht vielen erheblich gegen den Strich. Selbst in Abiys politischem Lager regt sich Widerstand. Die Queerroo - junge, gewaltbereite Oromo-Milizen, die Abiy den Weg ins Amt ebneten - fordern endlich Arbeitsplätze. Die aber kann auch "ihr" Premier nicht herbeizaubern in einer weitgehend staatsmonopolistisch dirigierten Kommandowirtschaft.

Die Signalwirkung des äthiopischen Frühlings geht freilich weit über das Horn von Afrika hinaus. Zumal Addis Abeba als Sitz der Afrikanischen Union (AU) die inoffizielle Hauptstadt des Kontinents ist. Das Demokratie-Experiment wird weithin mit großem Interesse als Lackmustest für die Reformfähigkeit Afrikas überhaupt verfolgt: Scheitert Äthiopien mit seinem jungen, dynamischen Premier, dann dürfte der Kater groß sein bei all denen, die den vergangenen Jahren Afrika als Kontinent der Chancen angepriesen haben - inklusive der Bundesregierung mit ihren zahlreichen Reformpartnerschaften.

Hausaufgaben für den Reformpremier

Es wäre nun aber viel zu früh, den äthiopischen Frühling analog zum arabischen bereits für gescheitert zu erklären. Denn was wäre die Alternative? Kaiser, brutale Menschenschlächter sowie charismatische Entwicklungsdiktatoren hat der strategisch so wichtige Vielvölkerstaat am Horn bereits ausprobiert - mit teilweise verheerenden Folgen. Das sollten sich all die Äthiopier vergegenwärtigen, die jetzt im Internet ethnischen Hass schüren.

Doch auch der unter Druck stehende Premier Abiy muss seine Hausaufgaben machen: Statt nur zu twittern sollte er sich den Medien stellen und auch unbequeme Fragen dulden. Und er muss lernen zu delegieren - an die Ministerien sowie die Regionen des föderalen Bundesstaates. Oder anders gesagt: Gefragt ist jetzt Institution Building (gerne mit starken Frauen an der Spitze!) statt One-Man-Show. Viel Glück, Äthiopien!