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Kommentar EuGH-Urteil

Christoph Strack10. Juli 2014

Der Europäische Gerichtshof kippt ein deutsches Gesetz, das die Familienzusammenführung erschwerte. Doch jetzt entstehen wohl neue Probleme. Es ist eine zwiespältige Entscheidung, meint DW-Redakteur Christoph Strack.

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Luxemburg Europäischer Gerichtshof EuGH Schild
Bild: picture-alliance/Horst Galusch

Das mag wahre Liebe sein: Eine türkische Frau sehnt sich nach ihrem seit Jahren in Deutschland lebenden Mann - doch dieses Land verweigert ihr immer wieder die Reise zu ihm, den dauerhaften Aufenthalt hier. Nach Angaben der deutschen Behörden ist sie Analphabetin und verfügt nicht über die für ein unbefristetes Visum notwendigen Sprachkenntnisse. Dabei braucht man doch für die große Liebe keine großen Worte.

Erfolg für die türkische Klägerin

Nun bereitet der Europäische Gerichtshof der Klägerin den Weg. Er kippte die Vorgabe, wonach derjenige, der zu seinem Ehegatten nach Deutschland ziehen will, sich in der hiesigen Landessprache verständigen können muss. Das verlangt seit 2007 der deutsche Gesetzgeber.

Angesichts der Debatte um Parallelgesellschaften, Frauenrechte und Zwangsverheiratungen mag sich diese gesetzliche Vorgabe erklären. Ganz konkret: Eine umfangreiche Studie des Bundesfamilienministeriums aus dem Jahr 2011 zeigt das Problem der Zwangsverheiratungen auf. Allein im Jahr 2008 suchten 3.443 Betroffene in Deutschland wegen dieses Themas eine Beratungsstelle auf. Laut Studie hat fast die Hälfte der von Zwangsverheiratung bedrohten oder betroffenen Menschen einen türkischen Migrationshintergrund. Und typisches Merkmal für Zwangsverheiratete ist eine deutlich schlechtere Schulbildung. Fehlende Fremdsprachenkenntnisse sind ihrerseits Merkmal geringer Schulbildung. "Sind die Betroffenen im Ausland geboren, ist zu 59 Prozent auch das Ausland Ort der Zwangsverheiratung", heißt es weiter. Experten sprechen da unter anderem von einem "Tabu", auch von Angst vor Stigmatisierung.

Christoph Strack Redakteur im DW Hauptstadtstudio
Christoph Strack, Redakteur im Hauptstadtstudio Berlin der Deutschen WelleBild: DW

Das Gesetz wollte schützen, nicht ausgrenzen

Gewiss, das sind nur Zahlen. Aber sie erklären den Zusammenhang, der den Deutschen Bundestag 2007 zur gesetzlichen Regelung bewegte. Da ging es nicht um eine Ausgrenzung von potenziellen Zuwanderern, sondern um die Rechte von bedrohten Frauen. Das Gesetz, das die Luxemburger Richter nun kippen, kam damals nach kontroversen Beratungen und parlamentarischen Anhörungen zustande.

Der Luxemburger Richterspruch ist ein Urteil mit Signalwirkung. Und es entspricht dem Ideal des hohen Stellenwerts der Familie. Familienzusammenführung sei, so die Richter, ein "unerlässliches Mittel zur Ermöglichung des Familienlebens türkischer Erwerbstätiger". Schließlich steht ja auch schon im Grundgesetz: "Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung." Und auch, dass niemand wegen seiner Sprache benachteiligt werden dürfe. Die europäischen Richter haben ein Urteil gefällt, das die Bedeutung von Familie, Partnerschaft und Bindung anerkennt - grenzüberschreitend.

EuGH-Richter ließen die vielfach traurige Realität außer acht

Das kann Ausdruck des Respekts sein. Aber zur Sorge um jene, die ein Opfer von arrangierten oder erzwungenen Ehen werden, äußern sich die Richter nicht. Dabei richten sie 2014 auf der Grundlage einer gut 40 Jahre alten Vereinbarung zur Niederlassungsfreiheit. Die Welt hat sich weitergedreht. Und Anfang der 1970er Jahre kannte wohl niemand in Deutschland den Begriff der arrangierten Ehe oder der Zwangsverheiratung.

Dass die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Aydan Özoguz (SPD), das Urteil begrüßt und sie zur Begründung auf das Instrument der Integrationskurse verweist, greift übrigens zu kurz. Denn immer mal wieder gibt es ein Nachdenken darüber, was eigentlich mit jenen (wenigen) passiert, die den Integrationskurs verweigern. Für die Türkin, die im nun entschiedenen Fall klagen ließ, haben die Richter Recht gesprochen. Andere Fragen, die unabdingbar zu diesem Kontext gehören, blendet das Luxemburger Gericht aber aus.