Eine Rede zum Jahrestag der furchtbaren Bombardierung Dresdens in der Nacht vom 13. auf dem 14. Februar 1945 ist immer ein Drahtseilakt. Der Feuersturm, der die sächsische Stadt an der Elbe heimsuchte, ist immer wieder von den verschiedensten Gruppen instrumentalisiert worden: Von den Nazis selbst noch in den letzten Monaten des Krieges, dann von der DDR, später von Neonazis und Ewiggestrigen. Das gipfelte zumeist in einem absurden Streit um die Zahl der Todesopfer, die etwa die Nazis auf mehrere Hundertausende hochrechneten. Vor allem aber war der Streit um die Bombennacht nach dem Ende der DDR ein Streit darüber, ob man an das unfassbare Geschehen isoliert erinnern, oder ob nicht allein eine Einbettung in den historischen Kontext den Opfern wirklich gerecht werden kann.
Frank-Walter Steinmeier hat also gewusst, welche Anforderung auf ihn zukam, als er diese Rede schrieb. Und dem Bundespräsidenten ist nicht nur die Einordnung gelungen, er hat vielmehr eine überraschend aktuelle Rede gehalten, die offen davon spricht, wie es zu Krieg und Zerstörung erst kommen konnte. Deshalb vergehen in seiner Rede drei lange Absätze, bis das Wort Dresden überhaupt auftaucht. Steinmeier beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen, spricht von der Entgrenzung der Gewalt, die Europa danach erlebte.
Leiden der Dresdner nicht relativiert
Mit keiner Zeile relativiert das deutsche Staatsoberhaupt damit die Leiden der Dresdner. Im Gegenteil: Er lässt es plastisch werden, er spricht vom Dröhnen der Flugzeuge, vom rot erleuchteten Himmel, vom Feuer, das allen Sauerstoff aus den Straßen der Stadt zog. Aber er erwähnt eben auch andere Städte, in Deutschland und anderswo in Europa: Hamburg etwa oder Würzburg, Neapel und Belgrad, Warschau und Coventry. Und er schließt diesen Teil seiner Rede mit dem klaren Satz: "Wer heute noch die Toten von Dresden gegen die Toten von Auschwitz aufrechnet, wer versucht, deutsches Unrecht klein zu reden, wer wider besseres Wissen historische Fakten verfälscht, dem müssen wir als Demokratinnen und Demokraten die Stirn bieten."
"Wir als Demokratinnen und Demokraten." Steinmeier weiß, dass es in den deutschen Parlamenten heute wieder Leugner der Nazi-Verbrechen gibt, er grenzt sich klar von ihnen ab. Das ist durchaus eine Neuinterpretation der Rolle des Bundespräsidenten, der ja überparteilich sein und alle Meinungen, die es im Volk gibt, moderieren und zusammenfassen soll. Aber nicht an diesem Punkt. Steinmeier geht sogar noch einen Schritt weiter, einen aktuellen: Er spricht vom neuen Antisemitismus, von neuer Fremdenfeindlichkeit, und: "Wenn gewählte Abgeordnete heute die Parlamente, in denen sie sitzen, vorführen und lächerlich machen, dann ist das der Versuch, die Demokratie von innen zu zerstören." Die Rechtspopulisten in den deutschen Landtagen und im Bundestag dürfen sich angesprochen fühlen.
Ja, das alles gehört in eine Rede zum Gedenken an den Feuersturm von Dresden, 75 Jahre danach. Und ganz bewusst endet die Rede denn auch mit der Antwort auf all die Ewiggestrigen. Der Bundespräsident tut das, was seines Amtes ist, neben allem Repräsentieren - er erinnert an das, was alle Deutschen einen sollte: Das Grundgesetz nämlich, die Verfassung eines demokratischen Staates. "Lassen Sie uns die Würde eines jeden Menschen schützen. Auch und gerade hier in Dresden." Eines jeden Menschen, nicht nur jedes Deutschen.
Stimme der übergroßen Mehrheit der Deutschen
Mit der Kritik von Rechtsaußen an dieser Rede wird Steinmeier leben können, er erfährt sie nicht zum ersten Mal. Aber es ist gut zu wissen, dass der Bundespräsident sich als Anwalt der gelebten Demokratie sieht - deutlicher als je zuvor. Einer Demokratie, die nicht nur aus Gesetzen, Verordnungen und parlamentarischen Regeln besteht, sondern auch aus Einsichten, klaren Haltungen, aus historischer Verantwortung. Noch immer teilt eine übergroße Mehrheit der Deutschen diese Ansichten. Es ist gut, dass Steinmeier seine Stimme für diese große Gruppe erhebt.