Dieses Mal trägt Corona keine Schuld. Der Prozess gegen die Fußball-Funktionäre Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Urs Linsi wäre wohl auch ohne die Pandemie nicht mit einem Urteil beendet worden. Den vier Funktionären war vorgeworfen worden, im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 nicht die Wahrheit über den Zweck der Zahlung jener ominösen Summe von 6,7 Millionen Euro gesagt zu haben, die seit Jahren viele der positiven Aspekte der "Sommermärchen" genannten Fußball-WM 2006 in Deutschland in den Schatten stellt.
Die Ex-Präsidenten des deutschen Fußball-Bundes (DFB) Wolfgang Niersbach und Dr. Theo Zwanziger, der ehemalige DFB-Schatzmeister Horst R. Schmidt sowie der ehemalige FIFA-Generalsekretär Urs Linsi gehen somit straffrei aus - zumindest bei diesem nun beendeten Verfahren in der Schweiz. Straffrei, nicht weil ihre Unschuld erwiesen worden wäre, sondern weil die Vorfälle seit diesem Montag verjährt sind. Und das hat die Schweizer Justiz zu verantworten. Vom Start der Ermittlungen im Herbst 2015 dauert es viereinhalb Jahre bis zur Anklageerhebung am 9. März 2020. Schon da - auch ohne die Corona-Krise - war klar, dass sich der Prozess nicht innerhalb von sieben Wochen durchziehen lassen würde.
Bundesanwalt trifft Infantino
Aber wahrscheinlich hätte es in Zwanziger, Niersbach, Schmidt und Linsi ohnehin nur "Bauernopfer" getroffen, wäre ihnen denn eine Schuld nachzuweisen gewesen. Unisono beteuerten sie, "nichts gemacht" zu haben. Bei der Wahrheitsfindung hätte ein fünfter Mann sicher weiterhelfen können, gegen den anfangs auch ermittelt worden war. Doch das Verfahren gegen Franz Beckenbauer, der als "Lichtgestalt" die WM seinerzeit nach Deutschland geholt hatte - möglicherweise unter Zuhilfenahme eben dieser 6,7 Millionen Euro - wurde wegen seines Gesundheitszustandes im vergangenen Jahr vom Hauptprozess abgetrennt.
Beckenbauer hatte seinerzeit vom inzwischen verstorbenen damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus ein Darlehen in Höhe dieser 6,7 Millionen Euro erhalten - exakt also über die Summe, die später beim wegen Korruption lebenslang gesperrten Katarer Mohamed bin Hammam landete. Belangt wird nun keiner. Möglicherweise auch, weil sich FIFA-Chef Gianni Infantino eingemischt hat. Kolportiert wird ein Geheimtreffen zwischen ihm und dem Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber. Ein Protokoll dieses Treffens existiert aber offenbar nicht, doch Lauber wurde vom schweizerischen Bundesstrafgericht wegen Befangenheit vom Fall abgezogen. Die Schweizer Justiz, die den komplizierten Fall mit Verve angegangen war, musste ein gehörige Pleite im internationalen Spotlight hinnehmen.
Beckenbauer fein raus
Der aktuelle DFB-Präsident Fritz Keller findet das "höchst unbefriedigend, ja frustrierend". Der DFB möchte deshalb auf eigene Faust ermitteln, um die Fakten in der "Sommermärchen-Affäre" offenlegen zu können. Das dürfte schwierig werden. Keiner der Verdächtigen dürfte sich gegenüber den Verbandsorganen öffnen, hatten doch alle vor Gericht bereits konsequent geschwiegen. Und auch die deutsche Gerichtsbarkeit wird wahrscheinlich an ihre Grenzen stoßen. Schon allein die Anklageerhebung wegen Steuerhinterziehung, bzw. der Beihilfe dazu, war geprägt von einem juristischen Gezerre. Das Landgericht in Frankfurt am Main, dem Sitz des DFB, wollte zunächst gar kein Hauptverfahren zulassen. Erst die nächste Instanz, das Oberlandesgericht, sorgte im vergangenen Sommer dafür, dass sich Niersbach, Zwanziger und Schmidt nun möglicherweise doch auch in Deutschland vor Gericht verantworten müssen.
Franz Beckenbauer ist auch hier fein raus. In die Steuerangelegenheit war er nicht verwickelt. 14 Jahre nach dem "Fußball-Sommermärchen" in Deutschland werden wir uns wohl damit abfinden müssen, dass wir die Wahrheit um den Verbleib und den Sinn und Zweck der Millionenzahlung nie erfahren werden. Außer, Beckenbauer oder FIFA-Chef Infantino wollen ihr Gewissen doch noch erleichtern - und sei es, in ihrem Testament.