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Die Kunst des Aussitzens

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Barbara Wesel
14. Januar 2016

Die EU ist von Krisen geschüttelt und Problemen umzingelt. In deren Windschatten segelt Griechenland und verzögert weiter Reformen. Alexis Tsipras hat Zeit gewonnen, die er dringend nutzen sollte, meint Barbara Wesel.

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Griechenland Alexis Tsipras im Staatsfernsehen ERT
Der griechische Premier Alexis Tsipras bei einem Interview im Staatsfernsehen ERTBild: picture-alliance/dpa/A. Vlachos

Was heißt eigentlich "aussitzen" auf Griechisch? Es muss jedenfalls ein Konzept aus der Antike sein, als die ersten Denker europäischen Zivilisation in Athen die Grundzüge des politischen Lebens entwickelten. Wie auch immer - die wechselnden griechischen Regierungen sind Meister dieser Kunst. Und das gilt auch für Alexis Tsipras, der doch angetreten war, um alles anders zu machen. Jetzt aber macht er es genauso wie seine Vorgänger.

Alles versprechen, nichts halten

Das Prinzip ist einfach: Man verspricht den Gläubigern mehr oder minder alles, was sie wollen. Das hat auch Tsipras schließlich verstanden, nachdem er im vorigen Jahr zunächst mit Widerstand nicht weiter kam. Also besann er sich auf die Weisheit der Altvorderen. Denn wenn die Versprechen unterzeichnet und die ärgsten Schulden mit dem Geld der Anderen bezahlt sind, dann kann man sich ganz langsam den Zusagen widmen, die Preis der Rettung waren. Und deswegen sind die EU Finanzminister im Januar so weit von der vereinbarten Überprüfung der Fortschritte in Griechenland entfernt, wie sie es im November waren, als der Bericht eigentlich fertig sein sollte. Fortschritte? Welche Fortschritte, lästern die desillusionierten Partner.

Immerhin hat Athen endlich einen Entwurf für eine Rentenreform vorgelegt. Aber ob sie überhaupt umsetzbar ist und den drohenden Zusammenbruch des griechischen Rentensystems verhindern kann, wissen die Götter. Vielleicht weiß es Alexis Tsipras, aber auch das ist nicht sicher. Das Reformpaket sei ehrgeizig, ist bisher der einzige Kommentar aus Brüssel. Unterdessen streiken mal wieder zwei der Gruppen, die von den Veränderungen betroffen sein werden - aktuell sind es die Rechtsanwälte und Eisenbahner. Und die traditionelle Steuervermeidung nimmt weiter ihren fröhlichen Lauf. Fünfzig griechische Finanzbeamte hat Minister Tsakalotos deshalb inzwischen bei den deutschen Kollegen in Nordrhein-Westfalen zur Schulung angemeldet. Man muss eben klein anfangen.

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Barbara Wesel, DW-Korrespondentin in Brüssel

Ein verlorenes Jahr

Spott beiseite: Das vergangene Jahr war für Griechenland verloren, das Wachstum ist eingebrochen und die Lage der Menschen hat sich nicht verbessert. Wichtige Reformen stehen aus. Und das politische Bewusstsein dafür, dass man sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen muss, fehlt weiterhin. Es gibt Krach mit dem größten ausländischen Investor, einer kanadischen Minengesellschaft. Es gibt Ärger mit dem potenziellen Käufer für den Hafen Piräus. Die zugesagte Privatisierung von Staatsunternehmen kommt nicht voran und erschien zuletzt in deutschen Medien als Lachnummer. Wohin man schaut, gibt es kaum Bewegung - nur weiteres Verzögern und Zuwarten.

Das Glück der griechischen Regierung ist die Krise in Europa. Die Union hat eine Flüchtlingskrise, eine Ost-West-Krise, eine Akzeptanzkrise, es drohen Brexit wie auch Terrorismus. Es gibt so viele Probleme, dass einem allein vom Aufzählen schlecht wird. Im Schatten dieser Dramen aber segeln derzeit die Griechen. Wenn Brüssel nicht wirklich anderweitig beschäftigt wäre, hätten wir längst wieder eine Griechenland-Krise. Dafür hat gerade niemand Zeit und Nerven. Trotzdem gilt die Pflicht der Regierung in Athen, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen und die versprochenen Reformen umzusetzen. Die EU-Finanzminister vergessen das nicht, sie wollen momentan nur keinen weiteren Streit. Das verschafft Alexis Tsipras so etwas wie eine letzte Nachfrist. Ansonsten: Die oppositionellen Konservativen haben gerade einen neuen, smarten und jugendlichen Parteichef ernannt. Es gibt also Konkurrenz für die Titelseiten der Magazine. Vielleicht kann das ja den Regierungschef beflügeln.

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