Keine Krise der Demokratie
Weniger als zehn Prozent! Nur noch einstellig ist die SPD im bayerischen Landtag vertreten. Die aktuellen Umfragen für Sachsen sind nicht besser. Und in Sachsen wird im nächsten Jahr der Landtag neu gewählt. Vor allem im Osten Deutschlands dürften dann die Zeiten definitiv vorbei sein, in denen CDU und SPD die Machtfrage allein unter sich ausmachten.
Jammern über Wahlergebnisse
Die Nerven liegen bloß und die Nervosität ist groß - nicht nur bei jenen, die um Macht und Ämter bangen. Beinahe reflexhaft setzt nach Wahlergebnissen und Umfragen, die für die Volksparteien desaströs ausfallen, das große Jammern und Zähneklappern ein über den Niedergang der Demokratie in Deutschland. Der renommierte Soziologe Meinhard Miegel hielt in der Tageszeitung "Die Welt" sogar das "Ende der Demokratie" für möglich. Dieses drohe, wenn die Zersplitterung der politischen Landschaft weiter gehe und der Niedergang der Volksparteien sich nicht aufhalten lasse.
Doch das ist nicht mehr als plumpe Panikmache. Denn warum eigentlich soll der Niedergang der Volksparteien gleichzusetzen sein mit dem Ende der Demokratie? Auch wenn sich CDU, CSU und SPD oft mit einer aufreizenden Selbstverständlichkeit als Staatsparteien aufführen, sind sie doch nicht der Staat!
"Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit", heißt es in Artikel 21 des Grundgesetzes. Von der Größe der Parteien steht da nichts geschrieben. Und auch nichts von CDU und SPD. Offensichtlich haben sich Miegel und viele andere in Deutschland damit abgefunden, dass sich zwei große Blöcke die Macht und Deutschland untereinander aufteilen.
Ende des Machtkartells
Es ist ja richtig: Mit diesem Machtkartell ist Deutschland lange Zeit nicht schlecht gefahren. Doch die politische Stabilität, die es geschaffen hat, ist Geschichte. In vielen Politikfeldern ist sie längst lähmender Lethargie und einer lärmenden Protesthaltung immer größerer Teile der Bevölkerung gewichen.
Und deswegen gilt: Der drohende Zerfall der Volksparteien, die Neuordnung der Kräfteverhältnisse, auch der Rückzug Angela Merkels - das ist nicht der Untergang Deutschlands oder gar des Abendlandes. Es ist schlicht Demokratie. Wir erleben keine Krise des demokratischen Systems. Die Reaktion an den Wahlurnen und vor allem die endlich wieder steigende Wahlbeteiligung zeigen vielmehr, dass dieses System funktioniert.
Demokratie funktioniert
Die Wähler ziehen lediglich Konsequenzen aus politischen Fehlleistungen und enttäuschten Erwartungen. Und sie haben recht: In vielen wichtigen Sachfragen hat die große Koalition einfach nicht "geliefert", ist mit Formelkompromissen und kurzfristigen Lösungen den notwendigen Richtungsentscheidungen ausgewichen: Mieten und Wohnraum, Dieselskandal, Altersversorgung, innere Sicherheit, Digitalisierung, Bundeswehr. Und natürlich das Thema Migration und Flüchtlinge. Doch der Bürger verhält sich wie im Supermarkt: Wenn er mit einem Produkt nicht zufrieden ist, kauft er ein anderes. Deswegen ist die aktuelle Entwicklung eine sehr demokratische Reaktion auf eine Politik, die an der Lebenswirklichkeit Vieler vorbei geht.
Da nützt es nichts, wenn sich die Großkoalitionäre die Augen reiben und sagen, man müsse seine Politik eben besser erklären. Anders herum wird ein Schuh daraus: Die politische Elite selber muss sich Deutschland besser erklären.
Wenn das System durchlässiger wird und offener für die politischen Rückmeldungen der Bürger, dann kann unsere Demokratie problemlos überleben. Mit dem offenen Rennen um die Nachfolge Angela Merkels als Parteivorsitzende zeigt die CDU, dass sie auf dem Ohr der Bürgerbeteiligung noch ganz nicht taub ist. Anders übrigens als die CSU, in der sich Ministerpräsident Söder gerade alternativlos in den Parteivorsitz hineinkungelt.
Nicht die Wähler, die Politik muss lernen
Die größte Gefahr kommt also nicht von den Wahlbürgern, sondern von der Politik selbst. Wenn die Poren der politischen Willensbildung verstopft sind und Wahlergebnisse dämonisiert werden, stauen sich nur noch mehr Unverständnis und Empörung auf. Als Ventil suchen sie sich dann radikalere Wege. Das sind exzellente Wachstumsbedingungen für die AfD und andere Populisten von Rechts und Links. In erster Linie stehen also nicht die Wähler vor einer politischen Reifeprüfung, sondern die politischen Parteien und ihr Personal.