Es ist jetzt gerade mal zwei Jahre her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz in Berlin den Satz fallen ließ: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Nur: Erstens ist dieses Neuland so neu längst nicht mehr. Und zweitens: Das vermeintliche Neuland der digitalen Welt ist immer stärker mit unserer analogen, physischen Lebenswelt verwoben. Funktionierende IT-Systeme sind zur Grundlage unseres Lebensstiles und unserer Wirtschaft geworden. Wir sind abhängig geworden von diesem Neuland.
Ebenfalls ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass Edward Snowden die uferlose Datensammelwut des US-Geheimdienstes NSA publik machte. Seine Enthüllungen ließen die schlimmsten Verschwörungstheorien von Paranoikern vergleichsweise harmlos aussehen. Doch, obwohl selbst das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört wurde, übte sich der Berliner Regierungsbetrieb vor allem im Abwiegeln. Und auch, dass der Bundesnachrichtendienst der NSA beim Ausspionieren deutscher und europäischer Amtsträger, Firmen und Institutionen half, hatte den Charakter der digitalen Bedrohung noch nicht aus der Sphäre des Abstrakten herauszuholen vermocht.
Die Politik wacht endlich auf
Erst der Hackerangriff auf den Deutschen Bundestag scheint das Zeug zu haben, Regierende und Abgeordnete aus ihrem technischen Dornröschenschlaf zu wecken. Spät macht sich die Erkenntnis breit: Das von Merkel entdeckte Neuland ist nicht nur von freundlichen und dienstbaren Geistern bevölkert, die Einkäufe ermöglichen, Bilder verteilen, Botschaften übermitteln oder Geld transportieren. Dort wimmelt es auch von Kriminellen, Spionen, Saboteuren.
Noch im Mai hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf einer IT-Sicherheitstagung eine weit verbreitete "digitale Sorglosigkeit" beklagt. Die hatte sich wohl auch unter vielen Mitgliedern des Bundestages ausgebreitet. Das "Parlakom"-Netzwerk hat in etwa die Größe des Netzwerkes einer mittelständischen Firma. Gerade denen hat man in der Vergangenheit oft vorgeworfen, zu lax mit dem Schutz ihrer Firmengeheimnisse umzugehen. Zugleich bescheinigen IT-Experten diesen Firmen eine "sehr steile Lernkurve", wenn sie einmal Ziel eines Angriffs geworden sind.
Da ist es ein schöner zeitlicher Zufall, dass gerade jetzt im Bundestag das IT-Sicherheitsgesetz beraten wird. Das soll die sogenannten kritischen Infrastrukturen in Deutschland besser schützen: die Wasser- und Energieversorgung zum Beispiel oder auch die Verkehrsleitsysteme. Denn ein Eingriff in das System der Nullen und Einsen der digitalen Welt kann massive Auswirkungen haben in unserem physischen Lebensumfeld.
Mahnende Beispiele gibt es längst
Das Jahrbuch des auch mit Aufklärung und Behebung des Hackerangriffs auf den Bundestag betrauten "Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik" schildert so einen Fall aus dem Jahr 2014: Da war in einem Stahlwerk die Steuerung so manipuliert worden, dass ein Hochofen komplett zerstört wurde. Wir sollten auch die Herzkammer der deutschen Demokratie zur kritischen Infrastruktur zählen. Hier werden zu viele vertrauliche Informationen gehandelt, die nicht in die falschen Hände gelangen sollten.
Grundsätzlich gibt es zwei Sorten von digitalen Angreifern: Kriminelle und Geheimdienste. Für Kriminelle ist der Bundestag uninteressant. Wenn man auf Geld aus ist, gibt es lohnendere Ziele. Gegen ausgefeilte Angriffe von technisch hochgerüsteten Nachrichtendiensten kann man sich nur schwer schützen. Das müssen alle wissen - auch diejenigen, die unter dem Stichwort Industrie 4.0 die Vernetzung von Daten und produzierenden Maschinen noch weiter vorantreiben wollen. Die Ära der digitalen Unschuld ist definitiv vorbei.
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