Der Satz der Woche
Hier ist er noch einmal, der Satz: "Wenn wir jetzt anfangen müssen, uns zu entschuldigen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land." Das war Angela Merkels Antwort auf den Vorwurf, sie habe eine übertriebene Aufnahmebereitschaft signalisiert und damit den Flüchtlingsstrom erst so richtig verbreitert. Ein Vorwurf, der von verschiedenen Seiten kommt, auch aus ihrer eigenen Partei und deren Schwester, aus CDU und CSU.
Diesen Kritikern galt dann auch vor allem dieser Satz, der eine kaum verkappte Drohung enthält: Mit mir - oder ohne mich. Mit mir, wenn es darum geht, Deutschlands freundliches, großherziges Bild zu zeigen. Ohne mich, wenn ihr Mauern hochziehen wollt gegen Menschen, die Hilfe brauchen. Das klingt tatsächlich wie eine außerparlamentarische Vertrauensfrage an die Union. Angela Merkel setzt ihr Amt und ihre Macht und ihre Beliebtheit ein. Sie ist seit zehn Jahren Kanzlerin, sie hat das alles nicht mehr nötig, das Amt, die Partei und die nachträglichen Besserwisser, die aber auch keine Idee formulieren können, was sie anders gemacht hätten, wenn sie in jener Nacht gefragt worden wären. Alternativlos, das Merkel-Unwort zu Maßnahmen in der Finanzkrise, hier hätte das Wort gepasst. Aber es hätte nicht gepasst zu der neu entdeckten emotionalen Kanzlerin.
Zwar war weder die Gestik noch der Ton emotional, nicht einmal für nüchtern deutsche Verhältnisse, die Worte waren es schon. Noch mehr verrät der Satz, der dem oben zitierten, berühmten folgte: "Insofern glaube ich, dass auf der einen Seite dieser Impuls der richtige war…" Das ist das Bekenntnis dazu, dass sich eben nicht alles vom Ende her denken lässt. Dass man sich manchmal auf seine Impulse verlassen muss. Der Eindruck mag trügen, aber verunsichert sind jetzt vor allem jene im Land und weit über seine Grenzen hinaus, die bis vor Kurzem noch klagten über den satten, unbeweglichen Zustand der deutschen Gesellschaft und die fehlende Bereitschaft der Bundeskanzlerin zu führen. Wer den Politikstil Angela Merkels zu kennen glaubte, fürchtet sich jetzt: vor mehr Moral als Vernunft, mehr Handeln aus der Situation heraus als nach einem sorgfältigen Plan, schnelle Entscheidungen anstelle ausgiebiger Konsultationen, mehr Bauch als Kopf.
Doch nicht das Verhalten der Bundeskanzlerin ist außergewöhnlich, die Situation ist es. Der Satz mit dem Impuls geht noch weiter: "…auf der anderen Seite, dass man dann schaut: Wie kann ich die Dinge wieder so machen, dass unsere Sicherheitsinteressen vertreten werden?" Die Grenzkontrollen sind wieder da. Und seit Donnerstagabend wissen wir: Die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetzentwurf, der eine härtere Haltung gegenüber Migranten formuliert als jemals zuvor in der Bundesrepublik Deutschland. Der Chef des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist ausgetauscht worden. Der Bundesinnenminister wirkt angezählt. Angela Merkel ist nicht weich geworden. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden es auf dem Sondergipfel in Brüssel erleben.
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