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Der ESC wird zum Politikum

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Andreas Brenner
22. März 2017

Julia Samoilowa darf nicht beim Eurovision Song Contest in Kiew singen. Der ukrainische Geheimdienst verbot ihr die Einreise. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen, meint Andreas Brenner.

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Russlands ESC-Kandidatin Julia Samoilowa
Bild: picture alliance/dpa/M.Antipina

Die 27-jährige Julia Samoilowa ist im Sommer 2015 bei einem Konzert auf der von Russland annektierten Krim aufgetreten. Sie ist auf die Halbinsel angeblich nicht über die Ukraine gereist und soll somit geltendes ukrainisches Recht verletzt haben.

Gesetz gilt für alle

Dieses Recht gilt auch für die Reise in die Gebiete im Osten der Ukraine, die von prorussischen Separatisten kontrolliert werden. In Kiew gibt es auch eine "schwarze Liste" von Künstlern, die nicht in das Land einreisen dürfen, weil sie die aggressive Politik des Kremls gegenüber der Ukraine unterstützen. Von Samoilowa gab es bis jetzt keine politischen Äußerungen. Vor vier Jahren wurde die Sängerin, die wegen einer Erkrankung seit ihrer Kindheit im Rollstuhl sitzt, durch eine Castingshow bekannt. Ihr Traum, eine professionelle Sängerin zu werden, ging in Erfüllung. Zwischendurch wurde sie operiert und muss oft ärztlich behandelt werden. Da gibt es kaum Zeit und Raum für politische Aktivitäten. Für ihren Auftritt auf der Krim traf sie dennoch die härteste Strafe: drei Jahre Einreiseverbot in die Ukraine.

Ja, Gesetze sollten für alle gelten. Das war auch eines der Ziele der "Revolution der Würde", wie die Ukrainer die Proteste im Winter 2013/2014 nennen. Nach dem Sturz des Präsidenten Janukowitsch erhielt das Land einen enormen Vertrauensvorschuss und Unterstützung vom Westen. Europa wollte der Ukraine auf ihrem Weg in die europäische Familie helfen: Korruption bekämpfen, eine unabhängige Justiz schaffen und die Oligarchen entmachten. Der Sieg der Krimtatarin Jamala beim Eurovision Song Contest 2016 war auch ein Beweis für gewonnene Sympathien. Und es war mutig von der Europäischen Rundfunkunion (EBU), der Ukraine das Recht zu erteilen, den Wettbewerb auszurichten. Denn nie zuvor fand der ESC in einem Land statt, auf dessen Territorium Kriegshandlungen geführt werden.

DW-Autor Andreas Brenner (Foto: DW)
DW-Autor Andreas Brenner

Inzwischen sind die versprochenen Reformen ins Stocken geraten, und auch bei der Vorbereitung zum Eurovision Song Contest hakt es. Aber anstatt sich auf die Lösung wirklich wichtiger Problemen zu konzentrieren, beschäftigte sich das Land mehr als eine Woche lang mit der Entscheidung über das Einreiseverbot für eine russische Künstlerin.

Zyniker in beiden Ländern

Am späten Abend des 12. März hatte Russland mitgeteilt, wer das Land beim ESC in Kiew vertreten sollte und erst am 22. März kam die Erklärung des ukrainischen Geheimdienstes SBU. Dabei war die Faktenlage von Anfang an klar. Samoilowa hat ihren Auftritt auf der Krim nicht verheimlicht. Warum brauchte der SBU so lange für seine Entscheidung? Um die Diskussion anzuheizen und zu zeigen, wie effektiv die jetzige Staatsmacht gegen die russische Aggression vorgeht? Am Beispiel von Samoilowa soll ein Exempel statuiert werden. Wenn das so ist, dann ist es genau so zynisch, wie eine behinderte Sängerin zur Teilnahme am Eurovision Song Contest nur deswegen zu entsenden, damit das Land vom ESC-Publikum nicht ausgebuht wird. Ob dies so ist, wissen wir aber nicht.

Mit dem Einreiseverbot für Samoilowa haben die Ukraine-Gegner und russische Nationalisten ihre neue Ikone, um zu zeigen, wie "unmenschlich" die neuen Machthaber in Kiew seien. Dass in der Ukraine die Gesetze des Kriegsrechts gelten, ist vielen Russen und Europäern nicht bewusst. Nun ließ sich die Ukraine durch Russland vorführen. Samoilowa wird jetzt von der russischen Propaganda instrumentalisiert und missbraucht. Und das ist schade für diese sympathische junge Frau mit ihrem breiten Lächeln.

EBU ist gefordert

Die Europäische Rundfunkunion - die Rechteinhaberin des Eurovision Song Contest - hat die Entscheidung des SBU zunächst hingenommen und will sich weiter um eine Lösung bemühen. Denn zum ersten Mal würde nämlich ein Geheimdienst bestimmen, wer an einem Musikwettbewerb teilnehmen darf und wer nicht. Zumal - wie aus Kiew zu hören ist - der SBU vorhaben soll, noch weitere Teilnehmer zu prüfen. Damit ist es mit dem von der EBU deklarierten Mythos, der ESC sei unpolitisch, endgültig vorbei. Dass die Politik so viel Einfluss auf den Eurovision Song Contest nehmen kann, ist ein herber Schlag gegen die EBU und den ESC. Die Folgen für diesen fröhlichen Wettbewerb, der auch als Symbol für die Versöhnung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg gilt, können dramatisch sein.

Deswegen sollte die EBU jetzt alles daran setzen, um eine richtige Teilnahme (also keine Live-Schalte aus Moskau) für Samoilowa beim ESC zu ermöglichen. Denn auch in der Politik werden Ausnahmen bei geltenden Gesetzen gemacht. So durfte im Oktober 2016 Putins Berater Wladislaw Surkow mit seinem Chef zum Gipfeltreffen über den Ukraine-Konflikt nach Berlin kommen. Surkow gilt als derjenige, der die Separatisten in der Ukraine steuert. Deswegen ist ihm die Einreise in die Europäische Union verboten. Offensichtlich hatte die deutsche Bundesregierung in Absprache mit Brüssel ihm die Anreise gewährt. Den Europäern ging es um die Sache und um den Geist des Friedens. Im Geiste des Eurovision Song Contest wäre auch ein Auftritt von Samoilowa bei dem ESC in Kiew gewesen.

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