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Politik

Das Schweigen der Mitte

25. Juli 2019

Ein Schwarzer wird niedergeschossen. Einfach so, aus Fremdenhass. Doch das Netz empört sich lieber über den Schweinefleischverzicht in Kitas. Wo bleibt der Aufschrei der gesellschaftlichen Mitte?, fragt Christoph Strack.

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Wächtersbach | Farbmarkierungen auf dem Asphalt nach Schießerei
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

In Leipzig stand in dieser Woche das christliche Abendland vor dem Untergang. So wirkte es jedenfalls. Zwei Kindertagesstätten hatten angekündigt, auf Schweinefleisch oder auch auf Gummibärchen verzichten und damit Rücksicht auf zwei muslimische Kinder nehmen zu wollen. Die "Bild" als größte deutsche Boulevardzeitung nahm das auf die Titelseite. Nur einige Stunden später standen die beiden sächsischen Kitas unter Polizeischutz. Und im Netz kochten Empörung und auch Hass über. Das Abendland, die Demokratie, die Freiheit – alles gefährdet. Der Islam – an allem schuld. Zum Teil unsägliche Einträge in den bei solchen Anlässen gerne besonders asozialen Sozialen Medien. "Schweinefleisch" trendet im Netz.

Das wohl klügste Wort, das zu dieser Debatte gesprochen wurde, kam vom Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. "Das Letzte, was wir brauchen, ist Hetze gegen Minderheiten, nur weil in einer Einrichtung über den Speiseplan nachgedacht wird", sagte Josef Schuster. Er ließ offen, ob er nur das Netz oder auch Medien, vielleicht auch deutsche Politiker meinte. Ja, Schuster betonte, "dass ein Verbot von Schweinefleisch übers Ziel hinaus geschossen wäre", und sagte damit das Notwendige. Aber er kritisierte eben vor allem die "aufgeregte Debatte" und riet zu mehr Gelassenheit.

Empörung statt Empathie

Szenenwechsel. In einer hessischen Kleinstadt hat in dieser Woche ein deutscher Waffennarr einen Eritreer mit mehreren Schüssen niedergestreckt - aus seinem fahrenden Auto heraus. Er kannte ihn nicht. Der 26-jährige Familienvater überlebte dank schneller Hilfe. Aber die Tat ist entsetzlich. Sie steht für puren Rassenhass, für dunkle Gewalt. Sie erinnert auch in der Ausführung an US-Verbrechen. Und sie weckt darin Ängste. Wenn man so will, wich im Städtchen Wächtersbach das christliche Abendland einem dunklen Stück US-Geschichte.

Die Politik? Da dauerte es lange, bis das Entsetzliche dieses Tötungsversuchs hochkam. Mancher Politiker, der zum "Schweinefleisch" oder "Gummibärchen" aufkochte, schweigt noch immer. Nein, nicht nur Vertreter der rechtspopulistischen AfD. Und das Netz? Nichts im Vergleich zum Orkan über Leipzig. Hass und Empörungseifer haben Konjunktur in Deutschland, nicht Empathie und Einstehen für Grundrechte.

Deutsche Welle Strack Christoph Portrait
DW-Redakteur Christoph StrackBild: DW/B. Geilert

Das ist nicht gut für das Land und seine Menschen. Nach den tödlichen Schüssen auf den Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke, der Anfang Juni Opfer eines Rechtsextremen wurde, beschworen Spitzenpolitiker und auch der Bundespräsident Wachsamkeit und Entschlossenheit. Und des öfteren klingt in Politikerreden in neuer Weise die Sorge um Demokratie an und um das, was man altmodisch den "gesellschaftlichen Frieden" nennt. Das meiste an Hass und Menschenfeindlichkeit ereignet sich noch im Netz. Und es ist gut, dass seit einer Reihe von Wochen die Justiz strafrechtlich relevanten Inhalten öfter und nicht mehr nur in seltenen Einzelfällen nachgehen. Facebook und Twitter tun da selbst sicher zu wenig, da wird die deutsche und europäische Politik weiter Druck machen müssen.

Wachsam sein!

Aber Wächtersbach zeigt, dass der Hass in seiner Verblendung aus dem Netz in die Realität überspringt. Jener Waffennarr, der den Farbigen zu töten suchte, hatte eine solche Tat in seiner Stammkneipe des öfteren angekündigt. Doch niemand hat aufgehorcht. Oder alarmiert auf seine Aussagen reagiert. Auch das ein Trauerspiel. 

Jede Tat hat Nachahmer. Jede Tat braucht einen Auslöser. Deshalb hat Josef Schuster so sehr recht. Deutschland braucht keine "Hetze gegen Minderheiten". Zu oft scheint es so, als sei die Gefährdung des gesellschaftlichen Friedens in der Breite noch nicht angekommen. Dagegen kann jede und jeder einzelne mehr tun – durch Anzeigen oder Hinweise auf strafrechtlich Relevantes im Netz, durch die Teilnahme an Demonstrationen, die für Menschenwürde und für Demokratie sowie gegen Feinde der Demokratie und der Gleichheit aller Menschen  auftreten. "Arsch hoch", hieß eine Kampagne gegen Fremdenhass vor 25 Jahren in Deutschland. Das ist heute wieder aktuell. Oder immer noch.