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Das Land zusammenhalten

23. Juli 2016

Die Morde von München erschüttern Deutschland. Wenn der Tod nebenan wohnen kann, wächst die Verunsicherung. Die Herausforderung an die Politik, das Land zusammenzuhalten, wird größer, meint Christoph Strack.

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Flaggen auf Halbmast vor dem Bundeskanzleramt in Berlin (Foto: picture-alliance/dpa/R. Jensen)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Der Mord an neun Menschen erschüttert Deutschland. Da sind Entsetzen, Fragen, ja, auch Wut und Ratlosigkeit. München startete gerade in ein Sommerwochenende zwischen Biergarten, Isar und Alpen - da brach Terror ein in die Idylle. Und am Morgen danach erwacht die Stadt, erwacht das Land aus einem Albtraum. Ob der Terror …? Fakt ist: Ein gerade mal erwachsener Deutsch-Iraner löscht viele Leben aus und verletzt weitere Menschen, und zwar nicht nur die physisch Verletzten, die nun um ihr Leben kämpfen und hoffentlich durchkommen. Er verletzt noch weit mehr Menschen in ihren Sicherheiten, in ihrer Psyche.

Der Terror rückt näher - so lautet eine politische Sprachregelung der vergangenen Woche. Erst war da das furchtbare Blutbad mit mindestens 84 Toten im südfranzösischen Nizza, dann das Attentat eines jungen Flüchtlings in einem Regionalzug bei Würzburg, der mehrere chinesische Touristen schwerstverletzte.

Trauer, Wut, Stolz

Längst ist das Land verunsichert. Nach der Tat in München gab es viele Spekulationen: Kommt nun der islamistische Terror in das Herz einer deutschen Metropole? Oder gibt es - just fünf Jahre nach dem nationalistisch motivierten Massaker auf der norwegischen Insel Utoya - rechtsradikale Hintergründe für diese Tat? Und dann ist es ein 18-Jähriger, der noch zur Schule geht. Eher kommt da der Bezug zu den Schulmassakern, die Deutschland in den vergangenen 15 Jahren erschütterten. Und, wie in Winnenden 2009, die Frage: Woher hat so ein junger Mann die Waffe?

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph StrackBild: DW

Die Stimmung in München und Deutschland scheint am Tag danach geprägt von Trauer, auch Wut und, ja, leisem Stolz. Trauer und Wut über die Opfer und die Sinnlosigkeit der Tat. Stolz auf die Solidarität und Hilfsbereitschaft der Münchener, über offene Türen und Häuser. Und eben Zufriedenheit und Stolz auch über die Sicherheitskräfte in der bayerischen Landeshauptstadt, die nach allem, was man weiß, engagiert und entschieden handelten und klar und offen kommunizierten. Das war die Antwort auf Nervosität und medialen Überdruck, auch auf die Panik des Netzes. 2300 Einsatzkräfte kamen aus verschiedenen Teilen des Landes, auch aus dem benachbarten Österreich - und niemand von ihnen wusste beim Beginn des Einsatzes, was die Aufgabe für ihn persönlich bedeutet.

Erschütterung - und Entschiedenheit?

Und doch bleiben nach dieser so sinnlosen Tat bange Gedanken: Wieviel hält diese deutsche Gesellschaft aus? Welche neue Spannung steckt in jedem neuen Anschlag, der - ob Amok eines einzelnen oder Terror eines Netzwerks - Deutschland erschüttert. Eine Gesellschaft, die sich gegen alles versichern und mit Verunsicherung so schlecht umgehen kann. Das spürte jeder, der in der Nacht sogenannte soziale Medien oder Online-Kommentarspalten las. Nicht wenig, was da geschrieben wurde, bleibt unsäglich. Es verhöhnt auch die Opfer.

Noch vor Mitternacht äußerte sich - vor Kameras - US-Präsident Barack Obama zu München, und viele Politiker aus der internationalen Politik folgten. Es waren Worte der Anteilnahme und Angebote der Unterstützung. Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, folgte am Samstagmittag.

Die Politik muss die Verunsicherung und Spaltung der Gesellschaft ernst nehmen, ernster als bislang. Das Land steht vor einer Bewährungsprobe - es geht um gesellschaftlichen Zusammenhalt, um Entschlossenheit und Vernunft der Behörden, um Führungskraft der Politik. Aber es braucht auch Ehrlichkeit im Umgang mit wachsenden Problemen. Demokratie lebt aus einer lebendigen Zivilgesellschaft, diese Gesellschaft lebt aus Zusammenhalt und auch aus dem aufrichtigen Streit, aus der Debatte, dem Aushalten von Spannungen. Mit München zeigt sich, wie groß die Aufgabe sein wird, nicht nur politische Lager, sondern ein Land zusammenzuhalten. Sie fängt gerade erst an.

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