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Das Gedenken ist frei

Marcel Fürstenau15. November 2014

Im jetzt eingeweihten "Wald der Erinnerung" ist das Gedenken an gefallene Bundeswehrsoldaten ohne falsches Pathos möglich, meint Marcel Fürstenau: Für politischen Streit ist das Denkmal völlig ungeeignet.

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Der Bundeswehr-Gedenkort "Wald der Erinnerung": Auf sieben Stelen stehen die Namen der Soldaten, die bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen sind - Foto: Marcel Fürstenau (DW)
Bild: DW/M. Fürstenau

"Jwd" liegt der "Wald der Erinnerung" - "Janz weit draußen", wie es im Berliner Jargon heißt, wenn jemand am Stadtrand oder noch entfernter wohnt. Ähnlich verhält es sich mit dem neuen Gedenkort für die Toten der Bundeswehr, der unmittelbar vor dem Volkstrauertag in Anwesenheit politischer Prominenz eingeweihte wurde. Eine gute Autostunde benötigt man dorthin von der Berliner Stadtmitte am Brandenburger Tor. Kurz hinter der alten Garnisonsstadt Potsdam findet man den Gedenkort - wenn man ihn denn finden will. Viele wollen das ja sowieso nicht. Weil sie alles Militärische ablehnen - aus welchen Gründen auch immer. Ihre Motive und Argumente sind genauso zu respektieren wie die der Befürworter von Krieg als Ultima Ratio, um einen Völkermord zu verhindern oder aus Gründen der Selbstverteidigung.

Die Zeiten, in denen das Totengedenken in Form monumentaler Kriegerdenkmäler dominierte, sind zum Glück lange vorbei. Nicht der verherrlichte Helden- und Opfertod für das Vaterland prägt die deutsche Erinnerungskultur der Gegenwart, sondern das persönliche und öffentliche Gedenken. Wenn anlässlich der Einweihung des neuen Gedenkortes die Mutter eines getöteten Soldaten, der Kamerad eines im Auslandseinsatz Gefallenen und die Verteidigungsministerin sprechen, dann spricht die deutsche Gesellschaft.

Es geht auch um die Glaubwürdigkeit von Auslandseinsätzen

Diese Art des Gedenkens und auch Dankens spiegelt das demokratische Deutschland wider, dessen Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Ohne die Zustimmung der vom Volke gewählten Bundestagsabgeordneten wird niemand in Auslandseinsätze geschickt. Und das muss auch so bleiben, wenn Deutschland seine in Jahrzehnten der militärischen Zurückhaltung gewonnene Glaubwürdigkeit nicht (weiter) beschädigen will. Gelitten hat sie schon angesichts der völkerrechtswidrigen Beteiligung am Jugoslawien-Krieg Ende der 1990er Jahre. Damals griffen NATO-Streitkräfte ohne UN-Mandat und ohne Eintreten des Bündnisfalls ein, um einen Völkermord zu verhindern.

Marcel Fürstenau aus dem Berliner Hauptstadtstudio
DW-Hauptstadt-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Höchst umstrittene Auslandseinsätze wie die in Jugoslawien oder im korrupten Afghanistan wirken sich unweigerlich auch auf Form und Inhalt des Totengedenkens aus. Wenn gefallene Bundeswehr-Soldaten angeblich die Freiheit Deutschlands am Hindukusch verteidigen, darf und muss eine dermaßen flott-saloppe Begründung kritisch hinterfragt werden. Diese Diskussion fand und findet zum Glück auch statt. Und sie wirkt nach, sie löst Nachdenklichkeit aus. Auch das ist Teil des Gedenkens, das nicht nur an ritualisierten Gedenktagen stattfindet. Es ist jederzeit möglich, auch und gerade an Orten wie dem "Wald der Erinnerung" auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr.

Nachdenken über Bundewehrsoldaten in Afghanistan

Der dortige Befehlshaber, Hans-Werner Fritz, wünscht sich viele Besucher in seiner Kaserne, die nach dem NS-Widerstandskämpfer Henning von Tresckow benannt ist. Der neue Gedenkort eignet sich aus Sicht des Afghanistan-Veteranen bestens dafür, über Auslandseinsätze zu reflektieren. Es ist ein Angebot an alle, sich mit dem weiten Feld von Krieg und Frieden, Leben und Tod auseinanderzusetzen. Der "Wald der Erinnerung" ist deshalb so gut dafür prädestiniert, weil er Raum lässt für öffentliches und privates Gedenken.

Der Kranz, den der Bundespräsident am "Ort der Stille" niederlegte, passt ebenso wie die Rede der Verteidigungsministerin. Man muss ihre Meinung ja nicht teilen, man kann es aber. Und dann sind da noch die Ehrenhaine, die aus den außerhalb Deutschlands gelegenen Einsatzorten der Bundeswehr in den "Wald der Erinnerung" integriert wurden. Sie machen diesen im wahrsten Sinne des Wortes natürlichen Gedenkort zu etwas ganz Besonderem. Hier haben spürbar trauernde Soldaten und trauernde Angehörige ihre Spuren hinterlassen. Es sind keine Spuren von Pathos, Überhöhung oder Verharmlosung.