Sie wirkte geradezu glücklich: Theresa May bei ihrer ersten Rede als Vorsitzende auf dem Parteitag der britischen Konservativen. Strahlend und mit glasklarer Stimme verkündete sie, was die Delegierten hören wollten: Großbritannien wird aus der EU austreten, zügig und kompromisslos. Die Zeiten, in denen sich die britische Regierungschefin an der Seite von David Cameron für den Verbleib in der EU eingesetzt hatte, scheinen Lichtjahre zurück zu liegen. Endlich wieder Kontrolle über die Gesetzgebung - die "Ketten aus Brüssel" werden abgeschüttelt, wie es ein "Brexiteer" ausdrückte.
Die Atmosphäre dieses Parteitag als optimistisch zu beschreiben, wäre zu mild ausgedrückt - die konservative Basis erschien geradezu ekstatisch. Rauschender Applaus, wenn Delegierte die "Souveränität" für "das großartigste Parlament in der Welt" feierten. Viele haben die Mitgliedschaft in der EU stets als unter ihrer Würde betrachtet. Sie wollen in der Vergangenheit anknüpfen, beim verlorenen Empire und dem Commonwealth, wollen sich "der Welt" öffnen, statt "little Europeans" zu sein - dabei hindert eine EU-Mitgliedschaft doch niemanden daran, mit der übrigen Welt Handel zu betreiben.
Die Austrittsbefürworter sind die Stars der Partei
Aus europäischer Perspektive ist es schwer zu verstehen, warum ein Zusammenschluss demokratischer Staaten als ein derartiges Monster dargestellt wird, wie es beispielsweise der konservative Europaabgeordnete Dan Hannan tut. Den 24. Juni, den Tag nach dem Referendum, verglich er mit dem Schock, den ein Gefangener erleidet, der urplötzlich in die Freiheit entlassen wird.
Brexiteers wie Dan Hannan wurden auf dem Parteitag als Stars gefeiert, die unermüdlich und aufopferungsvoll den Austritt ermöglicht hätten. Die sogenannten "Remainer" hingegen, die sich für den Verbleib in der EU eingesetzt hatten, stecken zur Zeit den Kopf in den Sand. Wer möchte von seinen Parteikollegen schon als "Remoaner", als Jammerlappen und Bedenkenträger bezeichnet werden. Auch die 48 Prozent der Bevölkerung, die sich bei der Abstimmung für die EU ausgesprochen hatten, kamen auf dem Parteitag kaum vor: Wie es gelingen soll, vor allem die jungen Briten einzubinden, die sich durch den Brexit um ihre Zukunft beraubt sehen, erwähnte Parteichefin Theresa May mit keinem Wort.
Die Haltung der "Brexiteers" gegenüber der EU: Herablassend, spöttisch. Man könne doch "Monsieur Juncker" nach Westminster einladen, um dort mit ihm zu verhandeln - vorher müsse er allerdings um ein Visum ersuchen. Dieser Scherz des Abgeordneten Jacob Rees-Mogg kam gut an. Dass Großbritannien bei den anstehenden komplexen Verhandlungen um das zukünftige Verhältnis zur EU auf den Goodwill Brüssels und der anderen Mitgliedsländer angewiesen ist, will man hier nicht wahr haben.
Wer braucht eigentlich wen mehr?
Denn die EU ist bei weitem der größte Absatzmarkt für das Vereinigte Königreich, 44 Prozent aller Exporte gehen dorthin - in umgekehrter Richtung sind es nur 17 Prozent. Die EU brauche Großbritannien mehr als umgekehrt, meinen viele in der konservativen Partei. Aber ein sogenannter harter Brexit, ohne Zugang zum gemeinsamen Markt, hätte schwere Folgen für die britische Wirtschaft.
Theresa May täte gut daran, ihre triumphierenden Parteikollegen alleine weiterfeiern zu lassen, und stattdessen den Rat des Europa-Experten Charles Grant zu befolgen: "Bescheiden und höflich" solle sie in die Verhandlungen mit der EU hineingehen. Die Regierungschefin muss mit diplomatischem Geschick verhindern, dass die EU ein Exempel statuiert und Großbritannien für den Austritt bestraft. Denn schließlich ist sie nicht nur ihrer Partei gegenüber verantwortlich, sondern dem ganzen Land.
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