Auf das Beben folgt der Tsunami
Trotz aller heftigen Verschiebungen im bayerischen Wählerverhalten - eine wirkliche Überraschung bot der Wahlabend nicht. Denn alles, was da an ungewöhnlich großen Balken in der Gewinn- und Verlustrechnung der einzelnen Parteien zu sehen war, hatten die Demoskopen ziemlich präzise vorhergesagt. Insofern haben zumindest sie, die in den zurückliegenden Jahren von so manchem Ergebnis böse überrascht wurden, ihre Ehre wieder hergestellt.
Ohnehin muss man bei aller Dramatisierung, welche die deutschen Medien betreiben, feststellen: Eine Revolution hat in Bayern nicht stattgefunden. Das Land war und ist strukturkonservativ - Parteien, die hierfür stehen, haben mehr als 60 Prozent eingefahren. So wie in ihren besten Zeiten die CSU. Allein das Angebot rechts von der Mitte ist heute vielfältiger.
Die CSU war es nicht alleine
Natürlich hat die CSU Fehler gemacht - im Land selber, vor allem aber in Berlin. Wie überhaupt die Bundespolitik dieses Wahlergebnis extrem stark beeinflusst hat. Doch zur Ehrlichkeit der Wahlanalyse gehört eben auch, dass die CSU ihr Elend nicht alleine verursacht hat: Schon bei der Bundestagswahl verlor die Union deutschlandweit fast neun Prozent, worüber die Parteiführung bis heute jede sachliche Analyse verweigert hat. Und bei der Wahl in Hessen in knapp zwei Wochen wird sich das Debakel für die CDU fortsetzen.
Deswegen gibt es aus alledem nur eine logische Schlussfolgerung: So lange Angela Merkel die prägende Gestalt der CDU bleibt, wird sich am Niedergang der Union nichts ändern und ist die Stabilität der AfD garantiert - auch wenn die Bäume für die Rechtspopulisten momentan nicht mehr grenzenlos in den Himmel wachsen. Doch schon bei der Europawahl im Mai und bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen im Herbst 2019 wird das im Falle des Festhaltens am bisherigen Personal wieder ganz anders aussehen. Die Frage ist allein: Wer ist es, der in der Union die Initiative ergreift, und Angela Merkel den Verzicht auf CDU-Vorsitz und Kanzlerschaft nahelegt?
Aber selbst wenn die Union die Kraft hierfür nicht aufbringt, wird sich das vierte Kabinett der Angela Merkel schon bald erledigt haben. Denn neben der Union sind ja auch die Sozialdemokraten im dramatischen Sturzflug. Nach der Halbierung der ohnehin noch nie sehr zahlreichen Wählerschaft in Bayern steht auch in Hessen der Verlust von jedem fünften Wähler bevor. Das wird den Gegnern der Regierungsbeteiligung in Berlin neuen Auftrieb geben und vermutlich auch hier die Parteivorsitzende vom Stuhl fegen. Ein stabiler Regierungspartner wird die SPD absehbar jedenfalls nicht mehr sein.
Die SPD hat sich überlebt
Dabei hat eigentlich niemand eine Lösung für das Dilemma der Sozialdemokratie parat: Wie versöhnt man die völlig divergierenden Interessen der früheren SPD-Wählerschaft? Da sind die immer weniger werdenden Arbeiter und das moderne Dienstleistungsprekariat, die entweder zur Linkspartei oder aus Angst vor der Konkurrenz von Zuwanderern auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt zur AfD abgewandert sind. Und andererseits die vielfach akademisch gebildete Stadtbevölkerung, der mehr Fahrradwege und weniger Dieselabgase im Zweifelsfall doch wichtiger sind als steigende Wohnungsmieten. Und die sich deswegen bei den Grünen viel besser aufgehoben fühlt. Es passt ins Bild, dass die SPD nur noch unter den Rentnern überdurchschnittlich gut abschneidet. So zeichnet sich ab, was auch schon in anderen Ländern Europas sichtbar wurde: Die Sozialdemokratie hat sich historisch überlebt, weil auf alle Fragen der Gegenwart andere Parteien bessere Antworten haben.
Die Wahl in Bayern war wie ein Seebeben. Dem wird ein zweites Beben am übernächsten Wochenende in Hessen folgen. Und dann kommen die Wellen des Tsunami, die in Berlin ziemlich viele Verwüstungen anrichten werden. Wann genau? Niemand kann das präzise vorhersagen. Aber zum Jahresende wird in der Bundespolitik kaum noch ein Stein mehr auf dem anderen stehen.