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Mediendebakel um ESC-Entscheidung

Fulker Rick Kommentarbild App
Rick Fulker
23. November 2015

Die weltgrößte Unterhaltungsshow wird von öffentlich-rechtlichen Sendern ausgerichtet. Können die das wirklich? Ja, meint DW-Musikredakteur Rick Fulker - aber manchmal mit merkwürdigen Ergebnissen.

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Österreich Eurovision Song Contest 2015 Bühne
Bild: Reuters/L. Foeger

Am Samstag (21.11.2015) gab die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) bekannt, dass Xavier Naidoo, der nur zwei Tage zuvor als Landeskandidat für den Eurovision Song Contest erwählt worden war, nun doch nicht antreten werde.

In den Medien hatte es Proteste gegen seine Nominierung gehagelt, vor allem in den sozialen Netzwerken. "Die Wucht der Reaktionen hat uns überrascht," sagte der ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber vom Sender NDR.

Sie hätte aber nicht überraschen sollen. Im vergangenen Jahr ist Naidoo bei den "Reichsbürgern" aufgetreten, einer rechtsgerichteten, vom Verfassungsschutz beobachteten Vereinigung. Und wegen angeblich homophoben Liedtexten und Äußerungen hat der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands gegen Naidoos Nominierung protestiert.

Kritik gab es dann wiederum auch am Rückzug. "Das Hin und Her offenbart, wie ahnungslos die Verantwortlichen sind - und wie wenig Rückgrat sie haben", schrieb Spiegel Online. Die Süddeutsche Zeitung übertitelte ihren Kommentar: "Nehmt der ARD den ESC weg!"

Der ESC ist unberechenbar

Das wird nicht möglich sein. Der ESC wird von der European Broadcasting Union (EBU) ausgerichtet, deren einziges deutsches Mitglied die ARD ist. Sie wird sich die Aufgabe nicht abnehmen lassen, selbst wenn das möglich wäre.

NDR-Programmbereichsleiter Thomas Schreiber
Thomas Schreiber vom NDR koordiniert das unterhaltungsprogrammBild: picture-alliance/dpa

Unterschiedliche Strategien zur Auswahl eines Nationalkandidaten für den ESC gibt es fast so viel wie Jahrgänge in dem 60 Jahre alten Wettbewerb. In den letzten Jahren durften die Fernsehzuschauer in Deutschland ihren Favoriten küren. Nicht dass dies den erwünschten Erfolg gebracht hätte; das Land ist anschließend häufig in die letzten Ränge bei der großen, europaweiten Castingshow gelandet, dem ESC-Finale selbst mit seinem 200 Millionen starken Fernsehpublikum. 2015 gab es sogar null Punkte für Deutschland. Zur Erinnerung: Ann Sophie, die für Deutschland sang, hatte beim nationalen Vorentscheid nicht gesiegt; gewonnen hatte Andreas Kümmert, der dann sofort ablehnte.

Aber null Punkte? Die Stimmen wurden laut: Es muss etwas geschehen! Weil es mit den unbekannten Künstlern nicht zu klappen scheint, erklärte die ARD nun, Xavier Naidoo werde das Land am 14. Mai 2016 in Stockholm vertreten. Die Begründung: Der Soulsänger hat ein starkes künstlerisches Profil und ist millionenfach verkauft worden, singt in deutscher Sprache und setzt mit seiner dunklen Hautfarbe ein Zeichen für Deutschlands Multikulti-Gesellschaft.

Das klingt fast zu viel nach Berechnung, nach Political Correctness, vielleicht aber auch nach Ratlosigkeit.

Wie kann man diesen kuriosen Wettbewerb überhaupt begreifen, geschweige denn gewinnen? Einmal siegen fürchterlich maskierte Hard-Rocker (die finnische Band Lordi, 2006) oder ein bärtiger Transvestit (Conchita Wurst aus Österreich, 2014), dann sind es skandinavische Schönheiten (Alexander Rybak, 2009; Loreen, 2012 und Måns Zelmerlöw, 2015) oder ein Aserbaidschaner mit einem skandinavischen Song (Nikki, 2011). Mainstream-Künstler wechseln sich mit Newcomern ab, die Freakshow mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, der gute Geschmack mit dem schlechten.

Rick Fulker
Musikredakteur Rick Fulker

Schrilles aus dem musikalischen Parraleluniversum

Zur Erinnerung: Der Eurovision Song Contest wurde in Europa 1956 als "Grand Prix Eurovision De La Chanson Européenne" ins Leben gerufen. Als freundlicher Wettbewerb sollte die Veranstaltung elf Jahre nach Kriegsende die Völker verbinden - was nach staatlich verordnetem Spaß klang. Das Publikum nahm den Wettstreit dennoch an. Einerseits fand es darin ein Ventil für nationalen Stolz, andererseits konnte es sich über manchen schrillen Act empören oder ergötzen.

Und davon gab es in der Geschichte dieses Wettbewerbs schon viel. Denn oft scheinen die Songs aus einem musikalischen Paralleluniversum zu kommen - mit speziell für den ESC konfektionierten Kreationen.

Es muss was geschehen! Ja, muss es denn wirklich?

Deutschland hat bisher nur zweimal gewonnen, erstens 1982 mit "Ein bisschen Frieden" und Nicole, die den allgemeinen Zeitgeist des Kalten Kriegs einfing; zweitens 2010 mit "Satellite" und Lena Meyer-Landrut, die mit ihrer sprudelnden Natürlichkeit einfach jeden bezauberte.

Lena wurde vom Unterhaltungsmeister und ESC-erfahrenen Stefan Raab protegiert. Nach ihrem ESC-Triumph durfte sie im Folgejahr ihren Titel verteidigen und landete immerhin auf Platz 10.

07.04.2014 DW DOKU Xavier Naidoo 06
Naidoo wird auch ohne den ESC viel zu tun haben

"Rette uns, Raab!" werden jetzt bestimmt einige rufen. Vielleicht ist er klug genug, nein zu sagen; es ist immer ratsam, auf der Höhe des Erfolgs aufzuhören. Die ARD hat diese Möglichkeit nicht. Ist die Fehlentscheidung für den "Ausnahmekünstler" Xavier Naidoo eine Ausnahme? Möglichst bald soll über einen neuen Ansatz zur Kür eines deutschen Kandidaten entschieden werden. Aber egal wie dieser aussieht, wird er wohl wieder wie eine allzu offensichtliche strategische Berechnung am grünen Tisch gesehen werden.

Das Ergebnis? Jeder weiß inzwischen, wer die "Reichsbürger" sind. Zwei Jahre in Folge wird Deutschland die "zweite Wahl" zum ESC senden. Und der Eurovision Song Contest wird auch dieses Zwischenspiel überleben.

Naidoo wird es auch, zumindest bei einigen Stammtischlern und bei der "Das darf man wohl auch mal sagen"-Fraktion.