Im römischen Lehrgebäude der katholischen Kirche, einem klobigen, immer wieder verstärkten Bau mit viel Stein und wenig Fenstern, tut sich etwas. Man hätte es kaum mehr für möglich gehalten. Bei der Amazonassynode, die an diesem Sonntag endete, plädierten die 185 stimmberechtigten Bischöfe in der Schlussabstimmung dafür, für die Seelsorge im riesigen Amazonasgebiet auch verheiratete ältere Männer zu Priestern zu weihen. Das soll es Gläubigen in entlegenen Gemeinden ermöglichen, öfter als ein, zwei Mal im Jahr die Eucharistie zu feiern, die das Zentrum ihres Glaubens bildet.
Das ist ein historischer Moment. Vor zehn oder zwanzig Jahren wäre das kirchenpolitisch undenkbar gewesen. Nun liegt es an Papst Franziskus, das aufzunehmen und umzusetzen. Dann würde aus einem historischen Moment auch eine historische Entwicklung. Franziskus will sich dazu noch in diesem Jahr äußern. Im klobigen römischen Bau wird also ein Fensterchen geöffnet.
Der leidende Mensch
Die theologisch wichtigere Perspektive ist: Die Zentrale eines zentralistischen Systems nimmt das Anliegen einer weit entfernten Region, der leidenden Menschen ernst. Das ist Papst Franziskus pur.
Die Ämterfrage - das ist wichtig - war nicht das Kernthema der Amazonassynode und des Abschlussdokuments. Sehr prinzipiell hat sie die dramatische Situation am Amazonas und die Lage der Menschen im Amazonasgebiet in den Blick genommen. Und spätestens seit diesem Sommer ist weltweit klar: Es brennt am Amazonas. "Amazonien heute ist verwundet, seine Schönheit entstellt, es ist ein Ort von Leiden und Gewalt."
Umkehr
Die Bischöfe nehmen den "Schrei der Erde und den Schrei der Armen" auf. Ein Kernbegriff, der ihr gut 30-seitiges Papier durchzieht, ist das Wort Konversion, Umkehr. Dieses zutiefst jesuanische Wort gilt den Menschen am Amazonas, aber eigentlich gilt es der Weltpolitik und allen Handelnden, auch der EU-Kommission und der Bundesregierung, den Konzernen und Konsumenten in den USA oder Europa, auch der Kirche und ihren wirtschaftlichen Entscheidungen. "Wenn wir nicht umkehren, bekommt die Menschheit Amazonien nicht bewahrt", sagte ein Kardinal.
Man kann das Papier der Synode gut lesen, es hat nichts Schwülstiges. Mancher Passus erinnert an die große Sprache, die die lateinamerikanische Kirche Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auch in kirchenamtlichen Dokumenten angesichts des "Schreis der Armen" fand. Unter Franziskus ist das politisch nicht links und nicht rechts, sondern einfach Ausdruck von Nähe zu den Menschen, seine Theologie des Volkes. Sein Blick gilt dem Menschen, nicht einfach wie sonst kirchentypisch dem, wie der Mensch bitteschön sein soll. Und für Franziskus geht der Amazonas und die Willkür der rücksichtslosen Ausbeutung und Schöpfungszerstörung alle Katholikinnen und Katholiken, jeden Menschen weltweit an. Das gleiche gilt für ähnliche Situationen am Kongo oder am Ganges, die in der Synodenaula angesprochen wurden. "Wir wissen, dass wir einer nie dagewesenen sozioökologischen Krise gegenüberstehen, auf die wir reagieren müssen. Wir brauchen eine ökologische Umkehr, um auf angemessene Weise zu antworten."
Lateinamerika ist immer noch der wichtigste katholische Kontinent. Hier lebt fast jeder zweite Katholik weltweit, Brasilien ist das größte katholisch geprägte Land der Welt. Deshalb steht diese den Europäern ferne Region im Zentrum kirchlicher Perspektiven. Und ob dort ökologische Umkehr notwendig ist, ob dort Zölibatsregeln gelockert werden oder - auch das folgt der Synode - über Leitungsrollen für Frauen in Kirche gesprochen wird: Jedes Thema, das dort zur Debatte steht, wird immer die katholische Kirche als Weltkirche beschäftigen.
Trump der katholischen Kirche
All das geschieht bei schärfer werdendem Gegenwind. Ein bestimmtes Milieu betrachtet diesen Papst und sein System als Häretiker, als vom rechten Glauben abgefallen und hat ihm im Grunde den Krieg erklärt.
Stunden, bevor die Synodenväter im Vatikan zur Schlussabstimmung zusammenkamen, ließ sich der deutsche Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller im fernen Washington feiern. Der 71-Jährige, als Glaubenshüter des Vatikan entsorgt, hat ja jetzt Zeit. "Kardinal Müller ist der Donald Trump der katholischen Kirche", sagte vor großer Runde Gastgeberin Gloria von Thurn und Taxis. Und Müller bot dem Auditorium munter manch kritisches Wort gegen Franziskus. Denn der US-Katholizismus hat es nicht so mit diesem Papst aus dem Süden.
Sicher, das ist Komödienstadl: Gloria, die sich im Älterwerden als frühere Skandalnudel elegant verbürgerlichte, und ihr früherer Regensburger Bischof Müller. Aber das ist es nicht nur. Da ist die Überzeugung, dass die katholische Kirche in ihrer Spitze einen Mann wie Trump bräuchte. Das Phänomen Trump ist der Gegenentwurf zu Franziskus, seiner Leidenschaft für den "Schrei der Erde, den Schrei der Armen".
Sturm der Kritik aus USA
Das mediale Begleitbild zur Synode waren meist Momentaufnahmen von Indigenen, die die Bischöfe auf deren Weg zur Synodenaula empfingen. Da standen einfache Menschen aus Brasilien oder Peru, warmherzig, singend und tanzend, manchmal folkloristisch anmutend. Vielleicht war dieses Bild zu idyllisch. Einige hundert Meter weiter erinnerte in diesen Wochen eine Ausstellung an hunderte Opfer der wilden Ausbeutung am Amazonas in den vergangenen Jahrzehnten. Märtyrerinnen und Märtyrer. Getötete Priester, erschossene Ordensschwestern, vor allem aber namenlose einfache Menschen, die Goldgräbern oder Konzernen im Weg waren. Viele der wirtschaftlichen Zusammenhänge führen in die USA. Kein Wunder also, woher der Sturm der Kritik an der Amazonassynode am meisten weht, auch medial. Dieser Papst und seine Liebe zum Gesicht Amazoniens stören, auch sein Wille, die Kirche sensibler zu machen für das Leid. Er wird das künftig noch stärker zu spüren bekommen.