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Politik

Alles für die Revolution

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Felix Steiner
24. April 2018

Eigentlich müsste das heutige Geschehen in Nicaragua viel mehr Menschen in Deutschland interessieren. Gab es doch für viele vor etwas mehr als 30 Jahren kaum ein Land, das wichtiger schien, erinnert sich Felix Steiner.

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Demonstration gegen eine Intervention in  Nicaragua
Demonstration in der 1980er-Jahren im Bonner HofgartenBild: picture-alliance/dpa/K. Rose

Nicaragua, das war für meine Generation eine Herzensangelegenheit. Eine inzwischen fast Vergessene - neben der Nachrüstungsdebatte, dem Kampf gegen Atomkraft und den Hausbesetzungen in den Universitätsstädten.

Die Revolution von 1979 in Nicaragua - das war die Chance zu einem klaren Bekenntnis für alle, die 1968 und während des Vietnam-Krieges noch in den Windeln lagen. Denn in Nicaragua schienen die Verhältnisse so eindeutig: Hier die Sandinisten mit ihrer sozialistischen Vision jenseits des Sowjetkommunismus, von dessen grauer, realer Gestalt wir doch alle längst ernüchtert waren. Auf der anderen Seite die USA, die den einstigen Diktator Somoza bis zuletzt unterstützt hatten und nun die Contras finanzierten, die den Krieg in dieses arme, sich nach Freiheit sehnende Land trugen. Nie ließ sich offener Anti-Amerikanismus unter dem Schutzschirm amerikanischer Atomwaffen glaubwürdiger ausleben.

Bitterer Kaffee  aus der selbstverwalteten Kooperative

In jeder deutschen Stadt, die auf sich hielt, bildete sich ein Nicaragua-Solidaritätskomitee - zumeist im Umfeld von Hochschulen, Gewerkschaften, SPD oder Kirchen. Bei widerlich bitterem Kaffee aus selbstverwalteten Kooperativen in Nicaragua wurden dort die Erfolge der Revolution gefeiert (in der Tat sank ja die Quote der Analphabeten innerhalb kürzester Zeit rapide), Ronald Reagan als Feindbild gepflegt, Resolutionen verabschiedet und Aktionen geplant.

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DW-Redakteur Felix Steiner

Die Hilfe, welche die sandinistischen Revolutionäre aus der Bundesrepublik erhielten, war durchaus handfest: Mehr als 15.000 junge Leute machten sich als Lehrer, Handwerker, Ernte- oder Gesundheitshelfer auf nach Nicaragua - lebten dort unter einfachsten Verhältnissen und schufteten fast ohne Lohn zumeist auf Baumwoll- oder Kaffeeplantagen. In Anlehnung an den Spanischen Bürgerkrieg war offiziell von "Internationalen Brigaden" die Rede. Der Volksmund nannte die Aktivisten hingegen "Sandalistas" - in Anspielung auf ihr Schuhwerk, das sie anstelle der soldatischen Kampfstiefel ihrer Großväter trugen. Die Sandale - nicht erst seit damals ein Symbol des Deutschtums.

In der kirchlich-katholischen Jugendarbeit, in der ich mich seinerzeit engagierte, war die sandinistische Revolution vor allem durch Ernesto Cardenal hoffähig geworden - der katholische Priester, den die Revolutionäre 1979 zum Kultusminister gemacht hatten und ohne den in den 1980er-Jahren kein Kirchentag auskam. Und so haben auch wir, die katholische Jugend in meinem Heimatort, Altpapier gesammelt und mehrere Hundert Mark nach Nicaragua überwiesen. Haben damit zweieinhalb Milchkühe für eine landwirtschaftliche Kooperative finanziert, von der ich seither nie mehr etwas gehört habe.

Auf der falschen Seite der Geschichte

Nie gehört haben wir auch damals davon (oder wollten es nicht hören), dass die Sandinisten unter ihrem Anführer Daniel Ortega (ja, genau der Gleiche, der heute auf Demonstranten schießen lässt) schon in den 1980er-Jahren ziemlich autoritär regierten. Aber die Gräueltaten von Reagans Contras rechtfertigten ja auch einiges...

Während wir Jugendlichen im Keller unseres Gemeindehauses saßen und über die Politik in Mittelamerika diskutierten, traf sich im oberen Stockwerk regelmäßig der Katholische Frauenbund. Die Damen - die meisten von ihnen um die 60 Jahre oder älter - packten dort Solidaritätspakete mit Kaffee, Zucker und Dosenwurst für das von Kriegsrecht und Versorgungsengpässen gebeutelte Polen. Wir Jungen hielten das gegenüber unserem Engagement für Nicaragua für ziemlich albern - geradezu kontraproduktiv für die Wahrung des waffenstarrenden Status Quo in Europa.

Ganz schön bitter - die Erkenntnis, auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben.

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