Kolumne: Das Ende der Theaterveteranen
21. Mai 2017"Hunde wollt ihr ewig leben?"
Der Zorn Friedrichs des Großen kannte keine Grenzen. Ursprünglich galt er seinen kampfunwilligen Soldaten. Heute wären mit Sicherheit die Berliner Ewig-Intendanten Castorf und Peymann Zielscheibe des bissig-blaffenden Monarchen, der in der Sache auf jeden Fall eine unzweifelhafte Autorität hat.
Peymann und Castorf
Denn als preußischer König und Chef aller Berliner Theater sitzt er gleichsam der Ahnenreihe der Dienstvorgesetzten Frank Castorfs und Claus Peymanns vor. Einer Reihe, die mit dem blassen Berliner Bürgermeister Michael Müller nur noch wenig von Glanz und Gloria früherer Jahrhunderte erkennen lässt.
Dabei hätten Michael Müller und sein Vorgänger Klaus Wowereit beizeiten Maß nehmen müssen am königlichen Mundwerk. Ich bin mir sicher: Der Alte Fritz hätte gegenüber den beiden Intendanten-Herrschern schon längst den richtigen Ton gefunden, um deren dynastische Ansprüche auf Ewig-Beschäftigung rechtzeitig zu stutzen. Vorbild Friedrich: "Die Opern-Leute sind solche Canaillen-Bagage". Nun ja, ob Oper oder Schauspiel - wir wissen was er meint.
Doch stattdessen sind wir nun seit Monaten Zeugen unstoppbarer Selbstinszenierungen. Das Stück heißt "Ich, mein Theater und die böse Welt" und wird gleich an zwei Berliner Traditionsbühnen gegeben: Von Claus Peymann am Berliner Ensemble und von Frank Castorf an der Volksbühne. Tenor: Nach mir der Untergang. So sagt Peymann: "Das Berliner Ensemble wird ausgelöscht". Nun ja, vielleicht könnte es nicht nur das Ensemble, sondern auch das Ego unserer betagten Intendantendarsteller treffen. Dass sie unter dem Methusalem-Komplex, der ganz gemeinen Altersselbstüberschätzung leiden - nie kämen wir auf diese Idee.
Todesstoß für die Volksbühne
Doch zugegeben: Die Beiden haben einen erstaunlich guten Riecher. Spätestens, seit Castorfs Nachfolger, der belgische Museumsspezialist Chris Dercon, seine Pläne für die Volksbühne (siehe auch Artikelbild) offenbart hat, wissen wir: Die Alpträume der Intendantenveteranen werden wahr. Das ist der Todesstoß für die Volksbühne. Ok, zumindest für die Volksbühne, so wie wir sie kennen. Das Brecht'scheTraditionstheater am Rosa Luxemburg Platz wurde von den Arbeitergroschen des "Vereins freie Volksbühne" finanziert und war eine linke, ja sehr linke Bühne mit ungehemmtem Weltverbesserungsdrang. Und das mit großen Regisseuren wie Herbert Fritsch und René Pollesch und Schauspielern wie Martin Wuttke.
Die Welt will auch Dercon verbessern. Aber bei ihm geht es ohne Schauspieler und Regisseure. Moment mal, waren die nicht sowieso im Theater schon immer überbewertet?
Dercon operiert am offenen Herzen
Stattdessen wird unablässig installiert, performt und digitalisiert. Die Volksbühne, der neue Tummelplatz für Berlins kulturelle Startup-Community. Und wenn die mal nicht bohrt und forscht, dann wird getanzt. Denn Chris Dercon hat ja recht: Tanz ist ja auch so politisch. Also viel Tanz und Experimentelles, auch in der neuen spektakulären Spielstätte, dem Hangar 5 des früheren Tempelhofer Flughafens.
Ja, das ist eine Operation am offenen Herzen der Volksbühne. Ausgang ungewiss. Und manches klingt einfach irre.
Doch mich zieht es nicht zurück zu den guten alten Zeiten. Sicher: Castorfs Theaterarbeit war frech, großartig, stilprägend. Das Stadttheater, wie wir es heute in all seinen Kunstformen und Verästelungen kennen - Castorf hat es einst erfunden. Doch schon lange hat der Großinquisitor nur noch für seine Gefolgschaft gepredigt, für jene, die ohnehin schon an seine heiligen Worte glaubten. Am Ende war vieles vom Immergleichen, so wie der wöchentliche Schnitzeltag in der Volksbühnen-Kantine.
Castorf hat in seinen Inszenierungen permanent zu Umsturz und Veränderung aufgerufen. Wie wäre es, wenn er nach 25-jähriger Intendantenregentschaft die Veränderungsbegehren in eigener Sache nicht als Majestätsbeleidigung verteufelt?
Doch bei allem Respekt: Castorf, das war gestern. Heute gilt das Motto: Die Volksbühne ist tot! Es lebe die Volksbühne!
Der einzige Trost für die Traditionalisten: Der Kantinenbetreiber bleibt.