Das verletzliche Land
1. Februar 2011Die Situation war paradox: Im Dezember 2010 wollte Kolumbiens neuer Präsident Manuel Santos nach Mexiko reisen, um bei der UN-Konferenz in Cancún Schritte gegen den Klimawandel zu verhandeln. Eben der hinderte ihn aber daran anzureisen. Santos musste in Kolumbien bleiben und den Notstand ausrufen. In seinem Land hatte es so heftig geregnet wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die Flüsse schwollen an, Schlammlawinen rissen Menschen in den Tod. Ein besonders starkes, lang anhaltendes El-Niño-Phänomen im äquatorialen Pazifik sei Schuld gewesen, sagen Meteorologen. Kolumbien litt Anfang 2010 an einer Hitzewelle, die einen akuten Wassermangel und Brände auslöste.
Bedrohte Hochmoore
Die kolumbianische Regierung rechnet mancherorts mit Temperaturanstiegen von zwei bis vier Grad in den nächsten zehn Jahren. Besonders bedroht von der Erwärmung sind die "Paramos" - Hochmoore mit einem empfindlichen Ökosystem. "Wir schätzen, dass 75 Prozent der Paramos verschwinden, wenn die Temperatur weiter steigt“, erklärt Gustavo Ampugnani, Koordinator für Lateinamerika bei Greenpeace. Steigende Temperaturen haben bereits die Andengletscher des Landes beträchtlich schrumpfen lassen.
Wassermangel und Trockenheit haben Folgen für die Wasserversorgung und Stromwirtschaft des Landes: Einige wenige Flüsse versorgen 70 Prozent der Bevölkerung mit Wasser. Strom gewinnt Kolumbien zu 85 Prozent aus Wasserkraft. Für die Pazifikküste erwartet die Regierung dagegen steigende Niederschläge - und einen Anstieg des Meeresspiegels um 40 Zentimeter bis 2060.
Umweltmacht Kolumbien?
Dagegen hat die kolumbianische Regierung umweltpolitische Schritte unternommen, für die sie sich im Ausland rühmt. Alvaro Uribe, Präsident von 2002 bis 2010, beschrieb bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 sein Land sogar als Umweltparadies, ein Land mit klugen Ideen. Beim Waldschutz-Programm "Guardabosques" zum Beispiel haben 66.000 Familien Geld erhalten, um den Wald nicht für Coca-Pflanzungen zu roden. Nach Regierungsangaben fallen jährlich 200.000 Hektar Wald Coca-Plantagen zum Opfer. Die von Stau und Smog geplagten Metropolen basteln an intelligenten Verkehrskonzepten: Bogotá hat den Busverkehr ausgebaut und spart damit 300.000 Tonnen CO2 im Jahr. Neue Bus- und Metro-Strategien gibt es auch in Cali, Pereira und Medellín, wo zudem sechs Seilbahnlinien gebaut wurden, um Pendler aus höher gelegenen Stadtteilen schneller zur Metro zu bringen.
Das größte umweltpolitische Argument für die Regierung sind jedoch Agrotreibstoffe, deren Ausbau auch Manuel Santos, Kandidat und enger Vertrauter Uribes, weiter vorantreibt. Kolumbien setzt auf Biosprit aus Palmöl sowie Ethanol aus Zuckerrohr, für das es nach Brasilien der größte Produzent in Lateinamerika geworden ist. Immer wieder betont die Regierung, dass für kolumbianische Agrotreibstoffe kein Urwald abgeholzt und Ackerflächen verschwendet würden. Ein eigenes Zertifikat soll das beweisen.
Kritik der Umweltverbände
Spätestens hier setzt die Kritik der kolumbianischen Umweltschützer an: Kolumbien verkaufe sich nach außen als grünes Vorzeigeland, löse diesen Anspruch zu Hause aber nicht ein. "Es bestehen erhebliche Widersprüche zwischen dem Diskurs und der nationalen Realität", erklärt Tatiana Roa von der Organisation Censat in einer Analyse. "Das Umweltthema spielt öffentlich kaum eine Rolle", ergänzt Hilmar Ruminski, Kolumbien-Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Denn offenbar wird für Agrotreibstoffe doch Wald gerodet. Der Arbeitskreis Schweiz-Kolumbien (ASK) schreibt von "zig Tausenden Hektar Ölpalmen“, die gepflanzt wurden "gegen den erklärten Willen der rechtmäßigen Landbesitzer und verbunden mit großflächigen Abholzungen". Censat berichtet ebenfalls von Rodungen - bedingt auch durch immer neue Viehweiden und Ackerflächen, die in Kolumbien entstehen.
Kohle und Öl für die Zukunft
Die Kritik geht noch weiter: Denn trotz aller Bekenntnis zum Klimaschutz setzt Kolumbien weiter stark auf fossile Energieträger wie Kohle und Erdöl. Nach Russland ist das Land der zweitwichtigste Lieferant für deutsche Kohlekraftwerke. Und im Norden gibt es bei Cerrejón den weltgrößten Kohletagebau. Die nationalen Vorkommen werden weiter erschlossen - begleitet von großen Rodungen, laut Censat. Außerdem gibt es Pläne für Ölbohrungen, unter anderem in der Karibik sowie im Amazonasgebiet.
Insgesamt erscheint Kolumbiens Natur derzeit doppelt bedroht: klimatisch und politisch. "Die Umweltpolitik hat unter Santos keine Aufwertung erfahren", resümiert Ruminski. "Vielleicht kommt dies noch, da er in anderen Bereichen wie etwa Menschenrechte gute Ansätze zeigt. Ein grünes Kolumbien ist bisher politisch aber nicht zu erkennen."
Autor: Torsten Schäfer
Redaktion: Klaus Esterluß