"Wut ist immer eine Gefahr"
26. August 2016Frieden ist anstrengend. In diesen historischen Tagen hetzt Marina Gallego von Termin zu Termin. Die Kolumbianerin ist Koordinatorin der Frauenbewegung "Ruta Pacífica" ("Friedlicher Weg"). "Ja, ich bin zufrieden und auch ein bisschen stolz", sagt die resolute Menschenrechtlerin im Interview mit der DW. Sie saß zeitweise mit am Verhandlungstisch in Havanna und ist nun als Gesprächspartnerin gefragt.
Denn Organisationen wie die "Ruta Pacífica" werden ganz entscheidenden Anteil daran haben, ob den erfolgreichen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der linksgerichteten Guerilla-Organisation FARC auch tatsächlich ein Frieden folgt. Mehr als 300 Organisationen mit Frauen unterschiedlichster ethnischer und sozialer Herkunft haben sich in der "Ruta Pacífica" zusammengeschlossen. Kaum eine Organisation kennt die sozialen Probleme des Landes so gut wie die Frauen des "friedlichen Weges".
Warnung vor übertriebenen Erwartungen
Trotz aller Freude über den historische Schritt in Havanna warnt Gallego vor übertriebenen Erwartungen: "In unserem Land gibt es immer noch eine tiefe Polarisierung. Und solange wir diese Polarisierung nicht überwinden können, ist die Wut immer eine Gefahr."
Ähnlich sieht es Angela Giraldo. Ihr Bruder wurde 2002 von der FARC zunächst entführt und dann hingerichtet. Sie selbst bekam die ganze Wucht der Polarisierung zu spüren, als sie im Verhandlungsort Havanna den Repräsentanten der Guerilla zur Begrüßung die Hand gab und dabei sogar höflich lächelte. Viele Landsleute nahmen ihr das übel. Dabei hatte Giraldo lange mit sich gerungen, ob sie überhaupt in die kubanische Hauptstadt reisen sollte. Inzwischen hat sie ihren Frieden mit den Rebellen gemacht. "Vergeben heißt nicht vergessen", betont die Politologin aus Cali. "Ich habe der FARC verziehen, aber ich erwarte, dass sie auch die Wahrheit über die Vorfälle sagt."
Front gegen den Paramilitarismus
Die Wahrheitsfindung ist einer der Schlüssel zum Frieden, findet auch Gallego. Denn Gefahren gibt es für die zarte Pflanze der Hoffnung genug. Die Vereinten Nationen warnen davor, dass paramilitärische Banden bereit stehen, um in das Vakuum zu stoßen, das ein Rückzug der FARC aus ihren Territorien hinterlassen würde. Das Abkommen müsse erreichen, dass nun eine breite Front im Lande gegen den Paramilitarismus entsteht, fordert Gallego.
Ihre Organisation wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Auch Giraldo bekam eine Anerkennung für ihren Mut, die Polarisierung zu überwinden: Sie erhielt eine Auszeichnung der deutschen und der französischen Botschaft.
Umstrittene Amnestieregelung
"Es wäre verheerend, wenn die Regierung ihre Zusagen nicht einhielte und die zugesagten Investitionen aus den Strukturfonds nicht in den Problemregionen ankämen", sagt Gallego. Damit weist sie auf das größte Problem für den Friedensprozess an: Es fehlt an Vertrauen. In die Regierung, die ihre Versprechen erst einmal einlösen muss. In die Guerilla, die ihre Waffen tatsächlich komplett abgeben muss. Und in die Justiz, die die schwierige Balance zwischen verurteilen und vergeben muss.
Vor allem das Wort "Straffreiheit" löst bei vielen Kolumbianern, die die FARC-Rebellen hinter Schloss und Riegel sehen wollen, eine innere Ablehnung aus. In der Friedensvereinbarung ist aber eine gewisse Amnestieregelung für politische Straftaten verankert. Das macht sie angreifbar.
Bildung statt Konfliktaufarbeitung
Das Friedensabkommen, das im September unterzeichnet und am 2. Oktober per Volksabstimmung legitimiert werden soll, bedeutet auch für die tägliche Arbeit der "Ruta Pacifica" eine Veränderung. Denn bislang war es vor allem die Aufarbeitung der Gewalt und des Missbrauchs, die kolumbianische Frauen im bewaffneten Konflikt ausgesetzt waren.
"Ich glaube, dass wir uns künftig mehr im Bereich der Bildung engagieren werden", glaubt Gallego. Man müsse eine Dynamik des Zusammenlebens entwickeln, damit diese eine wichtige Kraft für das Land werde. Die Dynamik des historischen Prozesses sei jetzt schon überall zu spüren, sagt sie. Nun gelte es, diese auch in die richtigen Bahnen zu lenken. "Ich bin jetzt eher optimistisch als pessimistisch."