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Kolumbien lernt den Frieden

Tobias Käufer, Quibdo17. Dezember 2015

Nach jahrzehntelangem Guerillakampf steht in Kolumbien nun ein Friedensabkommen in Aussicht. Mit oft kleinen Projekten versuchen Kolumbianer wie José Luis Dogirama, den Weg dorthin zu eben. Von Tobias Käufer, Quibdo.

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Quibdo in Kolumbien - Foto: Luis Robayo (AFP)
Bild: Getty Images/AFP/L. Robayo

Wenn José Luis Dogirama Sanapi über seine Zeit bei der FARC-Guerilla spricht, dann senkt er den Blick und seine Stimme bricht immer wieder. Als Jugendlicher ließ er sich vor über 20 Jahren von den falschen Versprechen der Rebellen blenden und schloss sich der Guerilla an. Die Kommandanten forderten von ihm die Ausführung eines ebenso zynischen wie bestialischen Auftrages, der damals als eine Art Aufnahmeprüfung in dieser Einheit galt. Er sollte als Loyalitätsbeweis seine Mutter, seinen Vater oder irgendein anderes Mitglied seiner Familie töten.

Jose Luis Dogirama - Foto: Florian Kopp (Miserior)
Ex-FARC-Mitglied Dogirama: Warnen und wachrüttelnBild: Misereor/Florian Kopp

Nur eine List rettete Dogiramas Angehörigen das Leben. "Ich habe ihnen gesagt, ich sei ein Waisenkind und hätte keine Familie." Danach ließen die Kommandanten zwar von ihm ab, eine Flucht aus den Reihen der Guerilla wäre damals allerdings lebensgefährlich gewesen. Deserteuren drohte die Todesstrafe, die Guerilla suchte gezielt nach abtrünnigen Ex-Rebellen, die sich von ihr lossagten.

Über das, was er dann Jahre danach als Guerilla-Kämpfer erlebt hat, will der heute 40-Jährige nicht mehr sprechen. Zu groß seien der Schmerz und die Traurigkeit, sagt Dogirama, der inzwischen bei der Diözese Quibdo in Kolumbiens bettelarmer Pazifik-Provinz Choco arbeitet. Der Krieg hat sich in seine Seele eingebrannt. Der kleine, zierliche Mann genießt auch heute noch den besonderen Schutz eines kirchlichen Aussteigerprogramms für Ex-Rebellen.

Heute habe er sein Leben Gott gewidmet, um dessen Pfad zu folgen - und den Kindern des Regenwaldes im Choco. Die will Dogirama starkmachen gegen die Anwerbeversuche von Guerillagruppen oder anderen bewaffneten Banden. Er will sie aufklären über die falschen Versprechen der Menschenfänger, die den Jugendlichen erzählen, sie könnten an den besten Universitäten der Welt studieren, in Europa leben und ein eigenes Haus haben.

Diese leeren Versprechungen kennt er aus eigener Erfahrung, als er in den Fängen der FARC war. Dogirama hat sich geschworen, anderen Kindern dieses Schicksal zu ersparen und ihnen die Wahrheit über die bewaffneten Gruppen zu erzählen. Er klärt im Rahmen eines kirchlichen Projekts die Jungen und Mädchen in der Region auf, warnt und rüttelt wach.

50 Jahre Tod und Gewalt

Mehr als 200.000 Menschen sind im Bürgerkrieg in Kolumbien bereits ums Leben gekomment. In den vergangenen 50 Jahren haben sich Guerillagruppen, Soldaten der kolumbianischen Armee und von der Regierung geduldete paramilitärische Einheiten erbittert bekämpft. Millionen von Menschen flohen vor der Gewalt in den abgelegenen Regionen des Landes in die Städte.

Kolumbien ist durch den Bürgerkrieg zu dem Land mit den meisten Binnenflüchtlingen weltweit geworden. Nach neuesten Schätzungen sind mehr als sieben Millionen Menschen im vergangenen halben Jahrhundert von ihrem Land vertrieben worden.

Kirche von Bojaya - Foto: Luis Acosta (AFP)
Kirche von Bojaya (2002): 80 tote Zivilisten bei Gefecht zwischen FARC und ParamilitärsBild: Getty Images/L. Acosta

Immerhin ist jetzt Besserung in Sicht. Die Regierung von Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos und die FARC streben ein Friedensabkommen an. Im kommenden März soll es unterzeichnet werden. Doch andere Guerillagruppen rekrutieren weiterhin Jugendliche - vor allem aus den armen ländlichen Gebieten. Oft gegen deren Willen.

José Luis Dogirama stammt aus dem kleinen Dorf Bojaya, das wegen eines grausamen Massakers traurige Berühmtheit erlangte. FARC-Rebellen feuerten im Mai 2002 einen Sprengsatz auf paramilitärische Einheiten, die sich hinter einer Kirche verschanzt hatten. Doch die Bombe traf nicht den Feind, sondern die in der Kirche Schutz suchenden Zivilisten. Fast 80 Menschen starben damals. In ein paar Tagen soll es unter Ausschluss der Öffentlichkeit am Schauplatz der Tragödie zu einer Art Versöhnung zwischen der FARC und den Überlebenden kommen.

Dogirama leistet nun seinen eigenen, kleinen Beitrag zum Friedensprozess. Wie so viele Menschen, Organisationen und Helfer, die meist auf sich allein gestellt sind. Sein Arbeitgeber, die Diözese Quibdo, erhält immerhin Unterstützung aus Deutschland. Das katholische Hilfswerk Misereor fördert dieses Bistum und stärkt viele friedensstiftende Maßnahmen in Kolumbien. Das südamerikanische Land fängt ganz langsamen damit an, zu lernen, was Frieden eigentlich bedeutet.

FARC-Rebellen - Foto: Christian Escobar Mora (EPA)
FARC-Rebellen: Anwerbeversuche mit falschen VersprechenBild: picture-alliance/dpa/C. Escobar Mora

Dieser Prozess ist spannend, denn nun wird nicht mehr über Krieg und Gräueltaten gesprochen, sondern auch über deren Ursachen, wie die soziale Ungerechtigkeit. In kaum einem anderen Land ist das soziale Gefälle so groß wie in Kolumbien. Zwischen den Nobelvierteln in der Metropole Bogota und der Provinzhauptstadt Quibdo, in der Dogirama lebt, liegen zwar nur knapp 45 Flugminuten und doch sind es Welten, die beide Gesellschaften trennen.

Keine Euphorie, sondern Realismus

Von einer Friedenseuphorie ist Kolumbien noch weit entfernt, stattdessen dominiert Realismus. Und da ist dann auch noch die Angst vor den vielen paramilitärischen Gruppen, die in Regionen vorstoßen könnten, in denen jetzt noch die FARC dominiert. "Es reicht nicht, nur mit einem Akteur des bewaffneten Konfliktes ein Abkommen abzuschließen", mahnt Kolumbien-Experte Eckhard Finsterer von Misereor. Vor allem das Problem des Paramilitarismus müsse intensiver angegangen werden.

Indio José Luis Dogirama hat noch weitreichendere Forderungen. Sein Volk gehört zu denen, die seit Jahrhunderten auf der Opferseite stehen. Ein wahrhaftiger Frieden sei nur möglich, wenn die gravierenden Probleme Kolumbiens gelöst werden. Die soziale Ungerechtigkeit, der Paramilitarismus, die Vertreibung, der fehlende Zugang zu Bildung und Arbeit: "Die Indigenen sagen immer, 'für uns gibt es keinen Frieden'", so Dogirama, "denn wir leben eigentlich seit 517 Jahren im Kriegszustand." Also, seit Kolumbus Amerika entdeckt hat.