Kokain - "Tsunami aus Südamerika"
28. Dezember 2018Der spanische Hafen Algeciras im April 2018. Regelmäßig stoßen Ermittler hier auf Drogenlieferungen, meist aus Südamerika. Aber was die Fahnder bei dieser Kontrolle versteckt zwischen einer Lieferung Bananen aufspüren, sollte am Ende ein gewaltiger Schlag gegen Kokain-Schmuggler in Europa werden: Rund neun Tonnen der Droge werden an jenem Tag sichergestellt, die größte Menge Kokain, die je in Europa in Containern beschlagnahmt worden sei, so der spanische Innenminister. Marktwert, je nach Berechnung, mindestens eine halbe Milliarde Euro.
Kokainschwemme setzt sich fort
Der Rekordfund steht exemplarisch für ein Phänomen, das deutsche Zoll- und Polizeifahnder intern auch als "Tsunami aus Südamerika" bezeichnen. Bereits seit mehreren Jahren wird weltweit immer mehr Kokain sichergestellt. Auch im Jahr 2018 stieg die Menge mutmaßlich wieder an, das geht aus einer internen Auswertung des Bundeskriminalamtes hervor, deren Ergebnisse dem NDR vorliegen. Demnach wurden in diesem Jahr bis zum November weltweit 608 Tonnen Kokain sichergestellt. Da zahlreiche Funde erfahrungsgemäß erst im kommenden Jahr öffentlich würden, hält es das BKA für durchaus möglich, dass die diesjährigen Sicherstellungsmengen noch über den 639 Tonnen des bisherigen Rekordjahres 2017 liegen könnten.
Christian Hoppe leitet die Rauschgiftbekämpfung im BKA. Die Ursache für die anhaltende Kokainschwemme liege "in erster Linie in den großen Produktionsmengen in Staaten wie Kolumbien, Peru und Bolivien", sagte er dem NDR. Zudem würde Kokain heute effizienter hergestellt, so dass sich aus einer Koka-Ernte heute mehr Kokain gewinnen ließe, als noch vor einigen Jahren.
Hohe Reinheit und wachsende Kriminalität
Nach einer jüngst erschienen Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) hat die anhaltende Kokainschwemme bereits dazu geführt, dass die Reinheit der Droge im Straßenverkauf stetig zunimmt - bei gleichbleibendem Preis.
Nach Informationen des NDR geht das Zollkriminalamt mittlerweile davon aus, dass die Großhandelspreise für Kokain sogar fallen. Allessandro Pirona von der EMCDDA warnt zudem davor, dass die wachsende Konkurrenz den Kokainmarkt auch in Europa brutalisiere. "Wir sehen Auftragsmorde und Entführungen, Gewalt gegen Polizisten und Einschüchterungsversuche von Hafenarbeitern." Bislang stünden dabei insbesondere Belgien und die Niederlande im Fokus der kriminellen Banden. Beide Länder sind mit ihren Häfen Antwerpen und Rotterdam seit mehreren Jahren das Haupteinfallstor für Kokain in Europa. BKA-Mann Hoppe sieht allerdings auch die Gefahr, dass die wachsende Konkurrenz zwischen den verschiedenen kriminellen Netzwerken auch zu mehr Gewalt in Deutschland führen könne, etwa in dem Konkurrenz "robuster ausgeschaltet" werde, in dem Hafenarbeiter bedroht oder korrumpiert würden oder indem Kokainlieferungen gewaltsam an sich gebracht würden.
Rauschgifthandel als Katalysator für andere Verbrechen
Der Kokainmarkt in Europa wird heute von unterschiedlichen kriminellen Netzwerken beherrscht, besonders präsent sind derzeit neben deutschen Tätern Gruppen aus dem Westbalkan und aus Marokko. Zudem wurden bei einer internationalen Razzia gegen die italienische Mafia Anfang Dezember bei mutmaßlichen Mitgliedern der N'Drangheta rund vier Tonnen Kokain sichergestellt. Man müsse sich klar machen, so Hoppe, dass die Milliardengewinne im Drogengeschäft nicht nur dazu genutzt würden, die teuren Lebensstile einiger Führungsverantwortlicher zu bezahlen. Vielmehr sei der Rauschgifthandel ein "Katalysator" für andere Verbrechen, wie Menschenhandel, Raub und Geldwäsche. Zudem würden die illegalen Gewinne auch in die Legal-Wirtschaft drängen und diese unterminieren.
Mehr Kokain im Abwasser
Kokain ist auch in Deutschland längst keine Droge mehr, die der Schickeria vorbehalten ist. Suchtberater berichten von Betroffenen aus allen gesellschaftlichen Schichten, das Pulver wird von Studenten und Bauarbeitern ebenso geschnupft wie von Bankern und Künstlern. Nach Informationen des NDR haben Zollfahnder und Polizisten in Deutschland in diesem Jahr etwa fünf Tonnen Kokain beschlagnahmt. Das ist im Vergleich zum Vorjahr, das durch einen Rekordfund bestimmt war, zwar ein Rückgang. Im Vergleich zu allen vorangegangenen Jahren liegt diese Menge aber nach wie vor auf hohem Niveau. Ein Vergleich europaweit erhobener Abwasser-Proben aus zehn verschiedenen Großstädten, darunter Barcelona, Antwerpen, Paris und Oslo zeigt eine massive Zunahme von Kokainabbauprodukten seit dem Jahr 2015.
Der Anstieg lässt sich nach Ansicht von Allessandro Pirona auf unterschiedliche Weise erklären, mehrere Faktoren deuteten aber darauf hin, dass Kokainprodukte heute von mehr Konsumenten geschnupft und geraucht werden. Es sei deshalb dringend notwendig das Thema besser zu erforschen. Da die Täter immer stärker international arbeiten, müssten auch die Strafverfolgungsbehörden entsprechend reagieren, sagt BKA-Ermittler Hoppe. Es sei höchste Zeit dem internationalen Netzwerk der Kriminellen "ein Netzwerk der Strafverfolgungsbehörden" entgegenzusetzen, das in Echtzeit Informationen austauschen könne, um in eigenen Land die notwendigen Maßnahmen zu treffen.