Neue Knorpel-Reparatur
11. Mai 2007Ein Blick auf gängige Verfahren zeigt, worum es geht. Ist ein Knorpel verschlissen, entnimmt der Orthopäde in einer ersten Operation an anderer Stelle Knorpelgewebe. Dieses wird gereinigt und von kommerziellen Firmen aufbereitet. Das Ziel ist, viele Knorpelzellen, Chondrozyten, zu züchten.
Sind die Knorpelzellen herangereift, ist eine zweite Operation fällig. Dabei wird dem Patienten Knochenhaut entnommen. Aus der Knochenhaut wird im Knie ein kleines Kissen um den Knorpeldefekt modelliert. Dort wird die Zellkultur eingespritzt.
Schließlich wird das Ganze mit Fibrinkleber verschlossen. Fibrine sind Eiweiße, die wie Klebstoff wirken. In dem so genähten Kissen wächst - vielleicht - ein neues knorpelähnliches Gewebe heran. ACT heißt das Verfahren, und steht für "Autologe Chondrozytentransplantation". Es werden also Zellen von außen eingefügt, transplantiert. Zusätzlich unterstützen Mediziner das Anwachsen der Zellen durch tierisches Kollagen, dass den Zellen als Gerüst dient.
Kollagen ist das am häufigsten vorkommende Protein bei Menschen und Säugetieren. Die Chirurgen verwenden heute meist Kollagen, das aus Rinderhaut hergestellt und gereinigt wird. Es ähnelt einem Schwamm und wird industriell für medizinische Zwecke hergestellt. Der Haken an den heute weit verbreiteten Eingriffen: Sie sind teuer. Die Kosten alleine für die Zucht der Knorpelzellen betragen zwischen 3500 und 7000 Euro, ohne die Operationskosten.
Keine Zellen von außen nötig
Forscher der Universitätsklinik Lübeck haben nun ein kostengünstigeres Verfahren entwickelt. Sie aktivieren die Selbstheilungskräfte unseres Körpers, und das geht ganz einfach: Dort wo der Knorpel verschlissen ist, werden in den freiliegenden Knochen mit Hammer und Pickel sehr feine Löcher hineingeschlagen. Mikrofrakturierung nennen das die Mediziner.
Die Folge sind feinste Blutungen aus dem Knochenmark, das die so genannten mesenchymalen Stammzellen enthält. Auf den blutenden Knochen kommt der Kollagenschwamm, zurechtgeschnitten genau in der Größe des kaputten Knorpels.
Peter Behrens von der Universitätsklinik Lübeck hat das Verfahren entwickelt und erklärt den Ablauf: "Der Witz dieser Matrix ist, dass sie einen Deckel bildet, und Gewebe oder Zellen, die von unten herauswachsen, haften daran. So hat man eine Art abgedeckten Bereich. In diesem Bereich bildet sich dann neues Gewebe aus."
Zusätzlich wird eine kleine Menge Eigenserum des Patienten verwendet, weil in diesem Serum des Patienten ein Wachstumsfaktor drin ist, der die Stammzellen zu Knorpelzellen werden lässt. Das heißt: Eigene Zellen fangen an, ein neues knorpelartiges Gewebe zu bilden. Zellen von außen sind nicht mehr nötig. "Das ist das Faszinierende an dieser Methode", schwärmt Behrens.
Wie eine Asphaltdecke
Das neue Verfahren, das derzeit auch in Kliniken in Regensburg, Hannover, Freiburg und Potsdam eingesetzt wird, trägt den Namen AMIC. Das steht für die "Autologe matrixinduzierte Chondrogenese", also für die Neubildung von Knorpel durch eigene Zellen in dem Kollagengerüst. Einige hundert Patienten wurden auf diese Weise bisher erfolgreich behandelt. Die so reparierte Stelle gleicht dann einer Asphaltdecke: Sie ist einige Jahre relativ fest, muss dann aber wieder ausgetauscht werden. Behrens beziffert den Zeitraum auf drei bis fünf Jahre, in denen der Patient beschwerdefrei ist. Danach könne die Operation wiederholt werden - zwei, drei, vier Mal, wie er sagt. Am Ende bliebe dann natürlich immer noch die Option, eine Prothese zu implantieren.
Die Bilanz: Das AMIC-Verfahren bringt den Patienten ebenso Schmerzfreiheit wie bisherige Methoden. Das in Lübeck entwickelte Verfahren benötigt aber nur einen minimal-invasiven Eingriff, statt deren drei. Die Kosten liegen bei rund 1000 Euro - beim herkömmlichen Verfahren werden ja allein für das Nachzüchten der Zellen bis zu 7000 Euro fällig. Was aber vielleicht am wichtigsten ist: Dem Patienten muss nicht auch noch zusätzlich gesunder Knorpel entnommen werden, um ihn teuer nachzuzüchten.